Anti-Apartheidspolitik der DDR: Postkarten für Mandela
In der DDR wurde die Solidarität mit Nelson Mandela propagandistisch genutzt. Doch die Empathie tausender Kinder, die ihm Karten schickten, war real.
Für ein Kind der DDR war Nelson Mandela ein unbekannter Held. Ein bärtiger, alter Mann, der hinter Stacheldraht hervor von jenem Plakat schaute, das „Freiheit für Nelson Mandela und alle politischen Gefangenen Südafrikas!“ forderte. Als ich geboren wurde, war er seit einem Jahr der Gefangene auf Robben Island.
In meiner Vorstellung war er dort sehr einsam und wurde von riesigen bissigen Hunden angebellt. Es war klar: Die rassistischen Schergen würden ihn da nie wieder rauslassen. Weil er eine dunkle Haut hatte, assoziierte ich – das Kind – ihn als Verwandten von Angela Davis, der wunderschönen US-Bürgerrechtlerin. Mein antikolonialistisches Herz schlug für beide gleichermaßen.
Nelson Mandela war einer in jener Reihe von Schutzbedürftigen, die ich als Kind mochte und an die ich keineswegs nur wunschgemäß und weil es irgendwie von staatlicher Seite so erwünscht war, dachte. Diese Empathie für Unterdrückte, Gefolterte, Gefangene überall in der Welt war eine Seite der DDR, die ich immer noch richtig finde.
Dass unsere Bleistiftspenden für Vietnams Kinder, die Postakartenaktion für die Freilassung des Chilenen Luis Corvalan oder – eben – Geburtstagskarten nach Robben Island propagandistisch verwertet wurden, begriff ich erst später. Diese kindlichen Gefühle ausgenutzt zu haben – das nehme ich der DDR immer noch übel. Aber die Idee, dass Kinder mit Unterdrückten fühlen, lasse ich mir dadurch nicht vermiesen.
„Sie werden Angst vor euch bekommen“
1986, da war ich schon erwachsen und gab einen Scheiß auf Politik, forderte die Zeitschrift Bummi die DDR-Kinder auf, bunte Geburtstagskarten zu malen, als „Freude für Nelson Mandela“. „Sie werden seinen Augen und seinem Herzen Stärke geben!“, feuerte die Bummi-Redaktion ihre kindlichen Leser an. „Je mehr wir schicken, desto größer ist der Ärger der Gefängnisbewacher. Sie werden Angst bekommen vor euch, die ihr so viele seid. Sie haben Angst, dass sie Nelson Mandela freilassen müssen, der sein schwarzes Volk anführt.“
Drei Monate später meldet Bummi, dass im Kapstadter Pollsmoor-Gefängnis 80.000 „leuchtende Postkartenkindergrüße“ eingetroffen seien. Man habe auch Mandelas Frau Winnie einige geschickt. „Sie wird bestimmt genauso viel Freude daran haben wie ihr Mann. An seinem Geburtstag werden sie auch über euch, die Kinder der DDR und ihre verständnisvollen, wunderbaren Eltern und Erzieherinnen sprechen!“ Nach allem, was ich heute über Nelson Mandelas damalige Frau Winnie weiß, wird sie mit ihrem Mann eher nicht über den Nachwuchs eines Siebzehn-Millionen-Landes zu reden gehabt haben.
Als 1990 plötzlich in meinem Leben alle Türen aufgingen, öffneten sich auch Nelson Mandelas Gefängnistore. Der gruselige Frederic de Klerk hatte die Freilassung angeordnet. Und, noch unglaublicher: Er hatte im Februar 1990 das ANC-Verbot aufgehoben. Fast noch mehr als der Umstand, dass ich plötzlich in Ostberlin direkt aus meiner Wohnungstür hinüber in den Wedding spazieren konnte, fast noch mehr überraschte mich diese Wendung der Geschichte. Wenn das möglich war – nämlich dass der Mann hinter dem Stacheldraht freikommt –, dann war wirklich alles möglich. Und genauso war es ja dann auch.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Autounfälle
Das Tötungsprivileg
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Verkehrsvorbild in den USA
Ein Tempolimit ist möglich, zeigt New York City
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen