Anti-AKW-Proteste im Dreiländereck: "Strahlung hält sich nicht an Grenzen"
AKW-Gegner aus Belgien, Deutschland und den Niederlanden wollen gemeinsam auf die Straße gehen. RWE plant Einstieg in holländischen Meiler.
KÖLN taz | Lange haben die Menschen geschwiegen in Belgien und den Niederlanden. Gegen die acht Atomreaktoren der deutschen Nachbarn regte sich kaum Protest. Doch nach dem GAU von Fukushima sprießt der Widerstand. Erstmals nach fast 30 Jahren wollen Aktivisten aus Belgien, den Niederlanden und Deutschland am 17. September gemeinsam auf die Straße gehen. Die Veranstalter rechnen mit mehreren tausend Teilnehmern.
Treffen wollen sie sich beim belgischen Atomkraftwerk Tihange nahe dem Dreiländereck bei Lüttich. Dort betreibt ein französisch-belgisches Konsortium drei Atomreaktoren, von denen der älteste schon seit 1975 am Netz ist. Die AKW-Gegner zweifeln unter anderem an der Erdbebensicherheit der Anlage. Laut einem WDR-Bericht im März dieses Jahres sagte der Chef der belgischen Atomaufsichtsbehörde, Tihange sei ausgelegt für eine Bebenstärke von bis zu 5,9. Kraftwerksbetreiber sprachen demnach hingegen von einem Maximalwert von 6,5.
Nicht nur diffuse Informationen empören die Aktivisten. "Die Standards sind zu niedrig. In der Vergangenheit ist es schon zu solchen starken Beben in der Region gekommen", sagt Jörg Schellenberg vom Aktionsbündnis gegen Atomenergie in Aachen. Stimmt: April 1992 im niederländischen Roermond: bis Stärke 6 auf der Richterskala.
Gefahr verbindet
Einen möglichen GAU in Tihange haben österreichische Wissenschaftler erst vor Kurzem durchgespielt. Sie kalkulierten, wie sich eine radioaktive Wolke unter den Windbedingungen an 88 verschiedenen Tagen im Jahr 1995 verbreitet hätte. In vielen der Szenarien zieht die Wolke direkt über Deutschland. Die Gefahr verbindet: "Radioaktive Strahlung hält sich nicht an Ländergrenzen. Deshalb wollen wir mit den Initiativen auch über die Protestaktion hinaus zusammenarbeiten", sagt Schellenberg.
Doch gerade Belgien ist bisher nicht für atomkritische Proteste bekannt. "Die innenpolitische Krise dort hat das Thema Atomkraft in den Hintergrund treten lassen", glaubt Schellenberg. Durch Fukushima seien die Menschen sensibler geworden. Insgesamt unterstützen mehr als 30 Organisationen den geplanten Protest. Dass die Sensibilität in der Region zunimmt zeigt auch ein atomkritischer Appell von 36 Bürgermeistern in Luxemburg vergangenen März.
Geeignete Orte für Proteste gib es genug. In den Grenzgebieten der Beneluxländer zählt Schellenberg fünf Reaktorstandorte. Und ein deutscher Energiekonzern könnte mit dafür sorgen, dass es noch mehr werden. RWE plant den Einstieg in das einzige niederländische Atomkraftwerk Borssele im Südwesten des Landes. Auch eine Beteiligung an einem Reaktorneubau ist im Gespräch.
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