Anthropologe über Putsch in Mali: „Nun entscheidet die Armee“
Ein Staatsstreich von der malischen Zivilbevölkerung hätte breitere Unterstützung erfahren als der von der Armee, glaubt Bréma Ely Dicko.
taz: Herr Dicko, wie beurteilen Sie die Lage in Malis Hauptstadt Bamako einen Tag nach dem Putsch ?
Bréma Ely Dicko: Es ist sehr ruhig in Bamako. Die Menschen gehen ihren Alltagsaktivitäten nach, und die Geschäfte haben wieder geöffnet. Einige Soldaten sind in der Stadt unterwegs. Jetzt kommt es auf die weitere Entwicklung an.
Viele Bilder zeigen vor allem junge Menschen, die den Putschisten zujubeln. Ist die Bevölkerung tatsächlich so mit dem Umsturz zufrieden?
Für Bamako kann man dem zustimmen. Als es am Dienstag die ersten Informationen über die Ereignisse gab, haben sich Jugendliche spontan auf dem Boulevard der Unabhängigkeit in Bamako versammelt. Wenig später haben sie die ersten Barrikaden aufgebaut, um den Verkehr zu regeln. Um 15 Uhr war der Boulevard voll mit Menschen, und es gab Aufrufe, auch in anderen Teilen des Landes Freude zu zeigen. Auch als das Militär den Präsidenten festgesetzt hat, blieb alles unter Kontrolle. Militär und Jugendliche haben Übereinstimmung demonstriert.
Ist so viel Jubel nicht befremdlich? Der Armee ist in der Vergangenheit immer wieder vorgeworfen worden, Terrorismus und Gewalt nicht effektiv zu bekämpfen.
Die Malier*innen wissen, dass es innerhalb des Staatsapparats Korruption gibt. Wegen des Missmanagements der öffentlichen Gelder sind die Soldaten nicht gut ausgebildet gewesen.
Wer ist nun innerhalb der Armee verantwortlich für den Staatsstreich?
Wir konnten im Fernsehen sehen, dass es ein Zusammenschluss aus allen Bereichen ist: Gendarmerie, Nationalpolizei, Armee. Es sind Oberste, Majore und ein General.
Führend ist Oberst Sadio Camara. Was ist über ihn bekannt?
Er ist ein ehemaliger Ausbildungsoffizier, der seine Ausbildung in China und Russland erhalten hat. Außerdem gehören Malick Diaw und General Cheick Fanta Mady Dembele dazu. Sprecher ist Ismaël Wagué.
leitet die Abteilung Sozialanthropologie an der Université des Lettres et des Sciences Humaines in Malis Hauptstadt Bamako. Die taz interviewte ihn telefonisch.
Seit Jahren gib es zahlreiche internationale Programme, malische Soldaten auszubilden. Ist es ein Widerspruch, dass sie nun ausgerechnet putschen?
Auf keinen Fall. Sie sind gut an internationalen Schulen in den USA und Europa ausgebildet worden. Es ist aber ihr eigenes Land, das nicht funktioniert.
Neben der UN-Stabilisierungsmission Minusma sind verschiedene internationale Militärmissionen im Land. Welche Bedeutung haben diese aktuell?
Es gibt die Europäische Ausbildungsmission EUTM, die Soldaten und Polizisten ausbildet. Vor Ort ist außerdem Barkhane sowie G5-Sahel [Mission der fünf Sahel-Staaten]. Letztere soll den Terrorismus im Sahel bekämpfen, was aber nicht klappt. Die verschiedenen Terrorgruppen sind weiterhin präsent.
Bereits 2012 gab es in Mali einen Staatsstreich. Anschließend besetzten verschiedene islamistische Milizen den Norden. Ist das Land durch die ausländischen Interventionen seitdem stabiler geworden?
Auf keinen Fall. Barkhane hat beispielsweise 43 Soldaten verloren, die Minusma 102. Das ist das absolute Scheitern. Sie sagen zwar, dass sie einige Terroristenführer wie (Abdelmalek) Droukdel getötet haben. Aber die Realität ist, dass die Sicherheitslage schlechter geworden ist, und das hat zur Schwächung des IBK-Regimes beigetragen. Und außerdem: Internationale Streitkräfte sind vor Ort – aber sie bekommen nicht einmal mit, dass ein Staatsstreich vorbereitet wird.
Ist es möglich, dass das Militär mit dem jetzigen Staatsstreich der zivilen Protestbewegung um den religiösen Führer Imam Mahmoud Dicko zuvorkommen wollte? Er fordert seit Juni den Rücktritt des Präsidenten.
Das ist eine seriöse Hypothese. Hätten Zivilist*innen den Staatsstreich alleine durchgeführt, hätten sie von allen Seiten Anerkennung erhalten. Sie hätten das Land nach ihren Vorstellungen regiert, was schwierig für die Armee gewesen wäre. Nun ist sie die Akteurin und sie trifft die Entscheidungen.
Welche Etappen sind nun nötig, um die Krise zu beenden?
Wichtig ist, dass die Verantwortlichen für den Staatsstreich das Vertrauen der Mehrheit gewinnen. Alle Akteur*innen müssen zur Zusammenarbeit bereit sein. Danach muss ganz schnell ein Fahrplan erstellt und ein Gremium geschaffen werden. Sonst werden sie selbst in wenigen Monaten wieder verjagt werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Linke gegen AfD und BSW
Showdown in Lichtenberg
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Auf dem Rücken der Beschäftigten