: Anstiftung zum Unfrieden
Vor der Ausländerbehörde eskaliert das Chaos: MigrantInnen-Ini kündigt Boykott an, der Innensenator „Sofortmaßnahmen“ ■ Von Silke Mertins
Die Warteschlange will kein Ende nehmen. Hinter rotweißen Absperrungen reiht sich ein verfrorener Mensch an den anderen. Dabei ist das nur die eine Schlange vor der Ausländerbehörde, die für Flüchtlinge. Eine Hausnummer weiter, Amsinckstraße 28, stehen die MigrantInnen mit „stabilem“Aufenthaltsstatus in Decken gehüllt und mit Klappstühlen ausgerüstet bereits bis zur BP-Tankstelle. Es ist sechs Uhr früh.
„Der will sich reindrängeln“, schreit plötzlich einer. Tumult bricht aus. Die Polizisten werden herbeigerufen. „Ich stehe hier seit sieben Uhr gestern abend“, der Wartende gestikuliert erregt, „dieser Mann hat nicht hier gestanden“. Erst jetzt habe er sich zwischen seine Landsleute gezwängt. Die Polizei soll den unverschämten Kerl gefälligst entfernen.
„Bitte kommen Sie doch raus“, sagt ein Ordnungshüter. Den Mann gewaltsam herauszuholen, das weiß er, kann er sich schon wegen der massenhaft anwesenden Medienleute nicht leisten. Die waren gestern morgen nämlich zu einer Pressekonferenz der GAL gekommen.
„Diese Situation“, sagt Rechtsanwalt und GAL-Bürgerschaftskandidat Mahmut Erdem in die hingehaltenen Mikrophone, „ist nicht nur wegen des Kinder-Visums entstanden.“Das nächtliche Ausharren vor der Tür, um überhaupt eine Wartenummer zu ergattern, werde den HamburgerInnen ohne deutschen Paß schon seit langem zugemutet. 330 Behördenangestellte stehen 260.000 AusländerInnen gegenüber.
Die 20.000 MigrantInnenkinder, die nun hinzukommen, haben das Faß lediglich zum Überlaufen gebracht. Die GAL verlangt eine sofortige Aufstockung des Personals und langfristig die schon oft geforderte Dezentralisierung der Ausländerbehörde (siehe Kasten).
„Ich bin hier seit 30 Jahren Steuerzahler, und sehen Sie sich das an: Nichts wird für uns getan.“Norbert Smekal, Sprecher der Ausländerbehörde und gestern morgen vor Ort, weiß dem wütenden Mann nicht viel entgegenzuhalten. „Überrascht“sei man von dem durch das Kinder-Visum verursachten Andrang. Eine „Arbeitsgruppe“sei eingesetzt. „Hochachtung“habe er vor „dem Verhalten der Wartenden“. Termine zu vergeben, nein, das sei nicht möglich.
Am Nachmittag hat die Kunde vom eskalierenden Chaos auch den Kinder-Visum-Befürworter und Innensenator Hartmuth Wrocklage (SPD) erreicht. In einer eiligst einberufenen Pressekonferenz stellte er „Sofortmaßnahmen“vor: In fünf Feuerwachen (Altona, Mörkenstr. 36; Wilhelmsburg, Rothenhäuser Straße 73; Harburg, Großmoorbogen 8; Berliner Tor, Westfalensweg 1; Billstedt, Wöhlerstr. 28) sollen ab Dienstag zwischen 8 und 15 Uhr Kindervisa beantragt werden können. Die Ausländerbehörde öffnet nun auch mittwochs.
Die wütenden Betroffenen wird das kaum beruhigen. Nach dem Türken Tekin Sengül will nun eine weitere Gruppe von Frauen die Ausländerbehörde boykottieren. „Meine Kinder sind hier geboren“, sagt Hülya Kilic, „ich hole kein Visum“.
Boykott-Ini: 040/592816
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