Anschlag in Kabul: Ratlos in Rom
Nur die rechte Lega Nord fordert einen Rückzug aus Afghanistan. Die restlichen Parteien stehen stehen nach dem Anschlag ratlos zum Einsatz bei dem sechs Soldaten getötet wurden.
Schock, Entsetzen und Trauer bestimmen Italiens Öffentlichkeit nach dem Kabuler Selbstmordanschlag vom Donnerstag, der sechs italienische Soldaten tötete. Doch statt politischer Kontroversen über den Sinn des Afghanistan-Einsatzes erlebt Italien einen ratlosen Schulterschluss hinter "unseren Jungs" am Hindukusch.
Seit November 2003, als im irakischen Nassirija 19 Italiener Opfer eines Attentats wurden, war das Land nicht mehr mit einem Anschlag solcher Dimension konfrontiert. 15 italienische Isaf-Soldaten starben von 2004 bis zum Donnerstag in Afghanistan. Nie aber lag die Opferzahl eines einzelnen Vorfalls bei mehr als zwei Soldaten.
Auch Italien hat damit die Eskalation des Afghanistan-Konflikts erreicht. Am Donnerstag unterbrachen beide Parlamentskammern ihre Sitzungen, alle TV-Nachrichten hatten nur noch ein Thema. Teams rückten in alle Heimatorte der Opfer aus, befragten Angehörige, Freunde, Nachbarn der "sechs Helden". Eher am Rande kam die Frage auf, ob Italiens Truppen in Afghanistan bleiben sollen.
Außenminister Franco Frattini forderte zwar einen "Strategiewechsel", da der Krieg nur gewonnen werden könne, wenn "wir die Herzen der Afghanen erobern", sagte dann aber, dass Italien diese Strategie längst verfolge. Ministerpräsident Silvio Berlusconi plädierte für "Umorientierung", ließ aber an Italiens Bündnistreue keinen Zweifel. Nur die 500 der 3.300 im westlichen Herat und in Kabul stationierten Soldaten, die extra für die Wahlen geschickt wurden, will er bald zurückholen.
Verlassen kann er sich dabei auf die gemäßigt linke Opposition, die Demokratische Partei. Die erklärte, es sei "jetzt nicht die Stunde der Polemik". Führende Vertreter ließen keinen Zweifel, dass sie gegen einen Abzug sind. Den will dagegen ausgerechnet Umberto Bossi von der Lega Nord, Juniorpartner in Berlusconis Rechtsregierung: "Bis Weihnachten" sollten alle Soldaten wieder zu Hause sein.
Zum Koalitionskrach wird das nicht - anders als noch unter der Mitte-links-Regierung Romano Prodis (2006-2008), als die radikale Linke bei jeder Isaf-Mandatsverlängerung die Regierung an den Rand des Kollapses brachte, um dann klein beizugeben. Mit dem Ausscheiden von Kommunisten und Grünen aus dem Parlament 2008 verschwand dort auch Afghanistan als Streitthema.
Vielmehr ärgert sich jetzt die Demokratische Partei über Bossi, hält aber an ihrer Position "nationaler Verantwortung" fest. Die nahmen selbst scharfe Berlusconi-Kritiker jetzt ein: Journalistenverband, Gewerkschaften, Oppositionsparteien sagten eine für Samstag geplante Demo ab, die "in der Stunde der Trauer" nicht opportun sei.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
Bankkarten für Geflüchtete
Bezahlkarte – rassistisch oder smart?
Anschlag in Magdeburg
Der Täter hat sein Ziel erreicht: Angst verbreiten
Nordkoreas Soldaten in Russland
Kim Jong Un liefert Kanonenfutter