Anschlag in Ägypten: Tödliche Schüsse nach der Messe
Bei einem Anschlag auf ein koptisches Weihnachtsfest in Ägypten sind sieben Menschen gestorben. Die Gewaltausbrüche zwischen den konfessionellen Gruppen nehmen zu.
![](https://taz.de/picture/325749/14/Nag_Hamadi.jpg)
KAIRO taz | Die Mitternachtsmesse zum orthodoxen Weihnachtsfest ist für die koptischen Christen im südägyptischen Nag Hamadi blutig zu Ende gegangen. Als sie den Gottesdienst verließen, wurden sie von drei Unbekannten in der Nacht zu Donnerstag aus einem vorbeifahrenden Fahrzeug mit automatischen Waffen beschossen. Mindestens sieben Menschen kamen dabei ums Leben, sechs Gottesdienstbesucher und ein muslimischer Wachmann.
Am Morgen danach kam es zu Auseinandersetzungen mit der Polizei, als ungefähr 2.000 aufgebrachte Kopten vor dem Leichenschauhaus begannen, Krankenwagen anzuzünden. Die Behörden weigerten sich, die Leichen freizugeben, mit dem Argument, dass eine Beerdigung Anlass zu größeren Auseinandersetzungen zwischen Christen und Muslimen bieten könnte. Die Polizei vertrieb die Protestierer, viele davon Verwandte der Toten, mit Tränengas.
Laut einer Erklärung des Innenministeriums in Kairo soll es sich bei dem Anschlag nach der Weihnachtsmesse um eine Racheaktion für ein Verbrechen handeln, bei dem im November ein 21-jähriger Christ ein 12-jähriges muslimisches Mädchen vergewaltigt haben soll. Augenzeugen sollen einen der Attentäter inzwischen identifiziert haben.
Bischoff Kirollos, der der Diözese in Nag Hamadi, 600 Kilometer südlich von Kairo und eine Autostunde südlich von Luxor, vorsteht, hatte kurz vor dem Attentat die Kirche verlassen. "Ich habe gerade jemandem in einem Hauseingang die Hand geschüttelt, als ich die Gewehrschüsse hörte", erzählt er. Dann sah er die Leichen auf der Straße.
Mehrere Kopten hatten zuvor Todesdrohungen erhalten. "Wir werden euch nicht in Ruhe feiern lassen", lauteten einige der Drohungen. Auch der Bischoff selbst soll eine SMS erhalten haben mit der Botschaft "Jetzt bist du dran."
Nag Hamadi war nach dem Vergewaltigungsfall im November bereits in die ägyptischen Schlagzeilen geraten, als muslimische Gangs nach der Verhaftung des mutmaßlichen koptischen Vergewaltigers zahlreiche christliche Läden verwüsteten und niederbrannten. Unter den Christen des Ortes ist dieser Tag seitdem als "schwarzer Samstag" bekannt. Die Polizei, die erst spät zum Einsatz kam, nahm damals 75 Menschen beider Konfessionsgruppen fest. Doch Kopten vor Ort beschweren sich, dass die Sicherheitskräfte sich in dem Konflikt nicht neutral verhalten hätten.
"Die Angreifer kamen damals am helllichten Tag", erzählt der Messdiener Bassudschi Gergis Demian gegenüber der ägyptischen Tageszeitung al-Masri al-Yum. Er hätte sich mit anderen Mitgliedern seiner Familie mit Steinen gewehrt, weil sie befürchteten, die Gangs könnten die Töchter der Familie verschleppen. Die Polizei sei erst nach den Unruhen angekommen und habe sowohl einige der mutmaßlichen muslimischen Angreifer als auch Mitglieder seiner Familie festgenommen. Die meisten Muslime seien aufgrund guter persönlicher Beziehungen zu den lokalen Behörden nach wenigen Tagen freigelassen worden. Die Christen blieben wesentlich länger in Haft. Er habe nichts mit dem mutmaßlichen Vergewaltiger zu tun und sei auch nicht mit ihm verwandt, betont Demian. "Wir Christen fühlen uns hier seitdem unsicher und erwarten, dass es jederzeit zu neuen Gewaltausbrüchen kommen könnte", prophezeite Demian wenige Tage vor dem jetzigen Weihnachtsattentat.
Kopten machen schätzungsweise ungefähr zehn Prozent der mehrheitlich muslimischen Bevölkerung von Ägypten aus. Die Christen im Land am Nil beschweren sich mit der wachsenden Islamisierung der Gesellschaft immer wieder über Schikanen und Diskriminierung. Gewaltausbrüche zwischen den konfessionellen Gruppen sind eher die Ausnahme, nehmen aber in den letzten Jahren zu.
"Wir haben hier mit diesen willkürlichen Morden mit einer neuen Qualität zu tun. Eine rote Linie ist überschritten", warnt der koptische Sozialwissenschaftler und Experte für muslimisch-koptische Beziehungen, Samir Murqus, im Gespräch mit der taz. Alltägliche Konflikte würden immer mehr in einem religiösen Kontext gesehen. "Wenn sich zwei Bürger streiten, dann ist das normal. Wenn aber einer Muslim und der andere Christ ist, dann erhält dieser Streit sofort den Charakter einer konfessionellen Auseinandersetzung", beschreibt er den Trend. Das schlimmste ist, sagt er: "Alle sehen zu und niemand steuert dieser alarmierenden Entwicklung entgegen."
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