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Anschlag im LibanonRegierungsmitglied getötet

Wenige Tage vor der Wahl wird ein Abgeordneter der prowestlichen Regierungskoalition getötet. Regierungschef Hariri beschuldigt Syrien. Die syrische Regierung und die Hisbollah verurteilen den Anschlag.

Nach dem Anschlag in einem Vorort von Beirut, bei dem ein Abgeordneter der prowestlichen Regierungskoalition getötet wurde. Bild: ap

KAIRO taz Nur noch zwei Stimmen Mehrheit hat die libanesische Regierungskoalition im Parlament, nachdem am Mittwoch mit Antoine Ghanem ein weiteres Mitglied des Regierungsbündnisses von einer Autobombe zerrissen wurde. Der Zeitpunkt des Mordes hätte kritischer nicht sein können, denn spätestens Anfang nächster Woche sollte das Parlament einen neuen Staatspräsidenten wählen.

Ghanem, Abgeordneter der christlichen Falange-Partei, war das achte Opfer in einer Mordserie, die im Februar vor zwei Jahren mit dem Anschlag auf den ehemaligen Premier Rafik Hariri ihren Anfang nahm und ausschließlich Angehörige der Regierungsmehrheit traf. Ghanem starb - wie die anderen -mit sechs weiteren Menschen am Mittwoch durch eine Autobombe, fast 70 Menschen wurden verletzt.

Keiner der Täter konnte jemals gefasst werden, niemand hat sich je zu diesen Taten bekannt. Altbekannt ist auch der sofortige Fingerzeig der prowestlichen Mehrheitsfraktion unter der Führung Saad Hariris in Richtung Damaskus. "Wir haben nie ein feigeres Regime als Baschar Assads in Syrien erlebt", lautete auch jetzt wieder Hariris erste öffentliche Reaktion.

Gleichgeblieben ist auch, dass Damaskus den Anschlag als "kriminelle Tat" verurteilt und beteuert, als Nachbar kein Interesse an der Destabilisierung des Libanons zu haben.

Die libanesische Opposition schließt sich dem an. Die Hisbollah verurteilte das Attentat, und wie nach den bisherigen Anschlägen bat der libanesische Premier den UN-Generalsekretär Ban Ki Moon um eine internationale Untersuchung des Mordes.

Soweit das alte Schema: kein Täter, Verurteilung auf allen Seiten und ein unbewiesener Fingerzeig aufs Nachbarland. Neu ist, dass der Mord die Lage diesmal auch über die bevorstehende Präsidentschaftswahl und damit über die Zukunft des Landes ein großes Fragezeichen setzt. Denn seit Monaten halten sich die prowestliche Regierung Siniora und das von der Hisbollah angeführte Oppositionsbündnis in dieser Frage gegenseitig in Schach.

Beide halten dafür jeweils eine gute Karte in der Hand. Das Regierungsbündnis kann mit seiner Mehrheit den Präsidenten bestimmen, aber die Wahl gilt nur, wenn zwei Drittel des Parlaments, also auch die Opposition, zu einer Sitzung zusammenkommen. Teile des Regierungsbündnisses haben angedroht, den zweiten Teil dieser Bedingungen zu ignorieren und ohne die parlamentarische Zweidrittelanwesenheit den Präsidenten zu wählen. Dadurch ist eine Situation entstanden, aus der es nur zwei Auswege gibt: Entweder einigen sich beide politischen Lager doch auf einen Konsenskandidaten für das Präsidentenamt, oder der Libanon wird demnächst zwei Regierungen haben.

Letzteres ist ein Albtraumszenario für das einst von einem fünfzehnjährigen Bürgerkrieg zerrissene Land. Die Frage ist jetzt, ob Nabih Berri, der Parlamentspräsident und Vertreter der Opposition, seine neueste Initiative weiterentwickeln kann.

Berri schlägt vor, dass die Opposition ihre Forderung nach einer Regierung der nationalen Einheit, an der sie auch beteiligt wäre, fallen lässt. Dafür soll aber die jetzige Regierungsmehrheit einem Konsenskandidaten beider Lager zustimmen, anstatt den Präsidenten alleine zu wählen. Berri soll in den nächsten Tagen mit Hariri zusammentreffen, um ein derartiges Abkommen auszuhandeln. Daher auch die jetzige allgemeine libanesische Verzweiflung, dass im Libanon immer dann politisch gemordet wird, wenn die beiden zerstrittenen Lager vor einer politischen Annäherung stehen.

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