Anschlag auf palästinensiches Kino: Filme für eine konservative Gesellschaft
Waren es die Islamisten? Oder war es ein Ex-Mitarbeiter? Auf das erst vor Kurzem wiedereröffnete Kino in der palästinensischen Stadt Jenin wurde ein Anschlag verübt.
Franz Macher wachte durch den Brandgeruch auf. Als er die Tür zum Gästehaus öffnete, hatten die drei kleinen Brandsätze "die Klingel schon abgeschmort". Der Student aus Süddeutschland ist derzeit für das Programm im Cinema Jenin zuständig. "Hinter den Brandsätzen stecken ein paar Halbstarke", vermutet Macher, der nicht glaubt, dass die Täter, die letzte Woche das Feuer am Gästehaus des Kinos legten, unter den Islamisten der Stadt zu suchen sind.
23 Jahre lang war der Vorhang im Cinema Jenin zugeblieben, bevor das Kino mit ausländischen Spendengeldern und auf Initiative des deutschen Filmemachers Marcus Vetter wieder instand gesetzt wurde. Projektmanager Fakhri Hamad glaubt den Täter zu kennen. "Es ist fast sicher, dass es sich um einen unserer freiwilligen Helfer handelt, der seine eigenen Träume hatte und auf einen Job hoffte. Wir mussten ihn enttäuschen."
Sechs Monate nach Wiedereröffnung ist das Kino noch immer weit davon entfernt, sich selbst zu finanzieren. Die Eintrittskarten kosten nur etwas mehr als einen Euro. Das sind Preise, die sogar israelische Araber, die jenseits der Trennanlagen leben, nach Jenin locken. Doch selbst wenn die täglich zwei Vorstellungen fünfmal in der Woche immer ausverkauft wären, ginge die Rechnung kaum auf.
Schon nächste Woche reist Hamad nach Deutschland, um neue Finanziers für das Projekt zu gewinnen. Der Palästinenser hat große Pläne. Er will Jenin zur Medienstadt machen und eine Filmschule gründen. "Früher oder später werden wir Jobs für alle haben, die uns geholfen haben."
Dabei genießt das Projekt nicht nur Sympathien. Jetzt müsse der Vorstand des Cinema Jenin endlich wahrnehmen, so kommentierte Ika Dano von "Palestine News Network" den Brandanschlag, dass "die hiesige Öffentlichkeit nicht mit seiner Politik einverstanden ist". Dabei gehe es gar nicht grundsätzlich darum, "dass es ein Kino gibt, sondern wie es gemanagt wird". Schon vor der Eröffnung hatten sich Leute gemeldet, die den angeblichen Versuch einer Normalisierung der Beziehungen zu Israel kritisierten.
Solidarische Perspektive
Tatsächlich lief im Rahmen der Eröffnungsfeiern der Film des arabischen Schauspielers und israelischen Staatsbürgers Mohammad Bakri "Jenin, Jenin". Der Film dokumentiert indes aus einer mit der Bevölkerung des Flüchtlingslagers von Jenin solidarischen Perspektive die Invasion der Armee zu Beginn der Zweiten Intifada. Innerhalb Israels blieb der Film, in dem von einem "Massaker" die Rede ist, zeitweilig sogar verboten.
Jenin galt über Jahre als Hochburg des Terrors. Die Armee zog gnadenlos mit Bulldozern durch die Stadt und das Flüchtlingslager, zerstörte Dutzende Häuser und auch das Friedenstheater, wo junge Palästinenser an Schauspiel, Musik und Tanz herangeführt werden. Erst Jahre später konnte das Theater wiederaufgebaut werden und wurde dann Opfer zweier Brandanschläge, die damals vermutlich auf das Konto von radikalen Muslimen gingen.
"Jenin heute ist wie Ramallah vor 50 Jahren", meint Projektmanager Hamad. "Eine sehr konservative Gesellschaft, die sich erst langsam anderen Kulturen öffnen muss." Das Kino soll einen Teil zu diesem Erziehungsprozess beitragen. Es lief in den ersten Wochen über Erwarten gut an. "Wir mussten manchmal sogar Leute wieder nach Hause schicken, weil wir keinen Platz hatten", sagt Hamad.
Nach dem Fastenmonat Ramadan blieb die große Zuschauergruppe aus. "Wir experimentieren im Moment mit dem Programm und mit den Vorstellungszeiten, um herauszufinden, was die Leute herbringt." Hamad wird im Anschluss an seine "Fundraisingtour" zur Berlinale reisen, wo der Film "After the Silence" gezeigt wird, der die Geschichte einer israelischen Friedensaktivistin in Jenin erzählt.
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