Kersten Augustin Materie
: Wer auch immer die Pipeline gesprengt hat, hat einen Preis verdient

Foto: privat

Wer hat die Nord-Stream-Pipeline gesprengt? Die Ostsee liegt zwar wieder so ruhig und langweilig da, wie es ihre Art ist, aber die Gerüchteküche blubbert. Einer Recherche verschiedener Medien zufolge soll eine Gruppe von sechs Personen mit gefälschten Pässen an der deutschen Ostseeküste eine Jacht gemietet haben und mit einem Sprengsatz zur Pipeline geschippert sein.

Das ist natürlich wahnsinnig aufregend, aber schlauer ist man nach dieser Recherche nicht – außer, dass es ein Wieck auf dem Darß und ein Wiek auf Rügen gibt und die Jacht an einem der beiden Häfen ein Päuschen gemacht hat. Ob die Sprengung aber von Ukrainern oder Russen ausgeführt wurde, ob die ukrainische Regierung informiert oder involviert war oder gar die Amerikaner – nichts davon ist heute klarer als vor einer Woche.

Einige Hinterbänkler sehen trotzdem die Chance, aus den Vermutungen Profit zu schlagen. Über „Terrorismus mit Staatshilfe“ spekuliert etwa Ralf Stegner und behauptet, die Medienberichte legten nahe, dass „Putin es nicht war“. Er raunt über „politische Turbulenzen, die sich gewaschen haben dürften“. Die Hoffnung, einen Grund zu finden, die Waffenlieferungen an die Ukraine endlich einzustellen, ist in Bardesholm so stark spürbar, da braucht man keinen Seismografen.

Ich muss Sie enttäuschen, auch diese Kolumne wird das Rätsel nicht lösen. Aber ich werde es herausfinden, mit einer investigativen Methode, einem Preisausschreiben. Denn egal, wer für die Zerstörung der Pipeline verantwortlich ist und woher die Täter kommen, ihnen gehören sämtliche Orden angebunden.

Zunächst der ARD-Vorabend-Preis für den besten Krimiplot: Man muss sich das nur mal vorstellen, wie diese Jacht, bis oben hin vollgepackt mit Sprengstoff, in den beschaulichen Hafen Wiek auf Rügen einfährt, neben der Jacht eines Rostocker Zahnarztes vertaut wird und etwas später weiterfährt. James Bond kann einpacken, bei dieser Geschichte stimmt einfach alles.

Kersten Augustin ist stell­vertretender Ressortleiter der wochentaz.

Die Pipeline-Helden verdienen außerdem den Footprint-Award für sozialökologische Transformation: Sie haben für das Ende des fossilen Albtraums mehr geleistet als jeder vegane Nachtzugfahrer. Ohne ihren heldenhaften Einsatz wäre die Wärmepumpe immer noch ein Kapitel im grünen Parteiprogramm. Jetzt ist sogar dem letzten aus Aserbaidschan bezahlten CDU-Politiker klar: Es gibt kein Weg zurück zum russischen Billiggas.

Womit wir beim dritten Preis wären: Dem Gerhard-Schröder-Preis für Verdienste gegen die deutsche Sozialdemokratie. Denn seien wir ehrlich, spätestens im nächsten Winter, wenn es wieder kalt wird, aber Christian Lindner sich weigert, Olaf Scholz’ Finanzbazooka nachzuladen, wird es ungemütlich werden in Deutschland. Und wenn es in der Ukraine dann etwas gäbe, das man aus der Ferne mit zusammengekniffenen Augen als Waffenstillstand bezeichnen könnte, wären die ersten Sozialdemokraten aus ihren norddeutschen Villen gekrochen und hätten gefordert, dass wir doch bitte Nord-Stream 2 endlich in Betrieb nehmen. Es wäre zwar nicht schön, würden sie dann sagen, und Russland würde man immer noch echt kritisch sehen, auch wegen der Menschenrechte. Aber man müsse doch auch an die deutschen Arbeiter denken, die bräuchten das billige Gas aus Russland. Und mit dem Zauberwort „Brückentechnologie“ wären dann auch die letzten Grünen schwach geworden. Diese beinahe zwangsläufige Entwicklung im Winter 2024 haben die Helden in die Luft gesprengt.

James Bond kann einpacken, hier stimmt einfach alles

Also, falls Sie das waren mit den Pipelines, wenden Sie sich bitte an die wochentaz in der Friedrichstraße 21 in 10969 Berlin – und holen Sie sich Ihre Preise ab!