Anschläge auf Büros von Linken: Stahlkugeln und Buttersäure
Rechtsextreme Übergriffe auf Büros von Abgeordneten und Parteien gehören in deutschen Städten zum Alltag. Die SPD-Spitze fordert besseren Schutz.
BERLIN taz | SPD-Chef Sigmar Gabriel zeigte sich erschüttert: „Ich finde es zutiefst beschämend, dass man zu solchen Mitteln greifen muss, um die Kinder und Jugendlichen, die sich dort engagieren, zu schützen“, schrieb er auf seiner Facebook-Seite. Anfang der Woche stattete Gabriel einem Jugendzentrum der Falken in Berlin-Neukölln einen Besuch ab.
Das Anton-Schmaus-Haus des SPD-nahen Jugendverbands war im vergangenen Jahr zweimal das Ziel von Brandanschlägen. Nun haben die Falken mit Hilfe prominenter Unterstützer 100.000 Euro für einen Sicherheitszaun gesammelt, der ihren Treffpunkt vor weiteren Angriffen schützen soll. „Die Neuköllner Falken haben meine volle Unterstützung. Wir stehen zusammen gegen Rechtsextremismus und Gewalt. Nur so können wir die Demokratie verteidigen“, schreibt Gabriel.
Erst kürzlich wurde ein 17-jähriges Mitglied der Neuköllner Falken von rechten Schlägern krankenhausreif geprügelt, als er einen Aufkleber mit Nazi-Parolen von einer Laterne abkratzte. Im August wurden im Osten der Hauptstadt ein Parteibüro der Jusos sowie die Wohnhäuser eines Juso-Funktionärs und eines Linken-Politikers angegriffen.
Dass sich solche Übergriffe in Berlin zuletzt gehäuft haben, hat die SPD-Spitze aufgeschreckt. Der SPD-Innenexperte Michael Hartmann forderte vom Berliner Senat, den Objektschutz für bedrohte Einrichtungen auszubauen – auch wenn das Personal kostet. SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles wollte deshalb das Gespräch mit Berlins Innensenator Frank Henkel (CDU) suchen.
Linkspartei im Visier rechter Gewalt
Die SPD ist aber nicht die einzige Partei, der solche Übergriffen gelten. Nur bei der Bundes-CDU weiß man über solche Angriffe nicht viel. Bei der FDP weiß man von solchen Fällen, will dazu aber keine Auskunft geben – nicht zuletzt um keine Nachahmer auf den Plan zu rufen. Und bei den Grünen verweist man auf die Bundesländer, weil solche Berichte nicht gesammelt erfasst werden.
Am stärksten steht die Linkspartei im Visier rechter Gewalt. Kaum eine Woche vergeht, in der nicht irgendwo in Deutschland in einem Büro eines Linke-Politikers die Scheiben eingeworfen oder die Wände beschmiert werden. Das passiert überall, wo es viele Neonazis gibt – in Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern, aber auch in Dortmund und Schleswig-Holstein.
Mal werden Wahlkampfbüros mit Nazi-Aufklebern zugepflastert, mal Fensterscheiben eingeworfen, Autoreifen zerstochen, Briefkästen zerstört oder Mitarbeiter angegriffen. Die Linkspartei führt darüber inzwischen Buch.
Im Jahr 2011 hat sie 53 solcher Übergriffe gezählt, im Jahr davor waren es sogar 89. Allein sechs Angriffe auf ihr Dortmunder Büro hat die Abgeordnete Ulla Jelpke in den vergangenen Jahren gezählt: Mal wurde es mit Stahlkugeln beschossen, mal mit Buttersäure beschmiert. Auch das Büro der Abgeordneten Caren Lay in Bautzen wurde mehrfach angegriffen.
„Andere Opfer werden oft kriminalisiert“
„Die Übergriffe treffen die Menschen, die in den Büros arbeiten. Die Vorfälle sorgen auch dafür, dass die Bürger sich nicht mehr zu ihren Abgeordneten trauen“, klagt Petra Pau, die Vizepräsidentin des Bundestags. Doch sie relativiert die Gefährdung gleich wieder: „Uns Abgeordneten muss aber auch klar sein, dass wir ja noch in einer privilegierten Situation sind. Andere Opfer von Rechtsextremisten genießen nicht den gleichen Schutz von Polizei oder BKA, sie werden oft sogar kriminalisiert.“
Dass die Linkspartei von rechtsextremen Attacken besonders betroffen ist, zeigen auch die Polizeiberichte aus den Bundesländern. Allein in Thüringen wurden für die Jahre von 2008 bis 2010 im Zusammenhang mit Büros von Abgeordneten und Parteien 61 Straftaten vermerkt, davon waren mehr als die Hälfte gegen Büros der Linkspartei gerichtet, im vergangenen Jahr wurden 25 solcher Straftaten angezeigt.
Die Grünen sind in Thüringen erst seit Ende 2009 wieder im Landtag und damit auch mit Wahlkreisbüros in verschiedenen Städten vertreten. Vor allem ihr Büro in Gera ist seitdem mehrfach Ziel von Übergriffen geworden. Im Umfeld des jährlichen Neonazi-Konzerts „Rock für Deutschland“ werden auch die Büros anderer Parteien regelmäßig zur Zielscheibe. „Wir dürfen vor dieser Einschüchterung nicht einknicken“, sagt Astrid Rothe-Beinlich, die parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen im Thüringer Landtag.
Aber es sei aber auch ziemlich schwierig, an solchen Orten Vermieter oder eine Versicherung zu finden, die bereit sind, dieses Risiko einzugehen. Doch auch sie will nicht klagen: „Wir Abgeordneten sind ja privilegiert“, sagt sie. „Flüchtlinge und linke Jugendliche, die angegriffen werden, bekommen nicht so viel Aufmerksamkeit.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen