Anrufer fragen nach Ukrainerinnen: „Die Gefahr eines Missbrauchs“
Private Initiativen bieten Schlafplätze für ukrainische Geflüchtete. Kai Weber vom Flüchtlingsrat Niedersachsen hält wenig davon.
taz: Herr Weber, was halten Sie von privaten Initiativen, die Schlafplätze für Ukrainer:innen vermitteln?
Kai Weber: Wir sehen das kritisch, denn es besteht die Gefahr eines Missbrauchs. Wir haben Anrufe bekommen von Männern, die eine „blonde Ukrainerin“ aufnehmen wollten. Das wissen wir auch aus Erfahrung: Unter den vielen gut gemeinten Hilfsangeboten gibt es immer auch sehr zweifelhafte Motive. Deshalb braucht es ein System des Gewaltschutzes, das überprüft, unter welchen Bedingungen die Menschen privat untergebracht werden und welche Abhängigkeitsverhältnisse es gibt.
Aber das sind Bettenbörsen, da wird nichts kontrolliert.
Es gibt Vermittlungen, wo Leute sich die Angebote angucken, bevor sie in die Datenbank aufgenommen werden. Andere sagen, wir vermitteln nur Menschen, die sich bereits akklimatisiert haben, nicht mehr völlig orientierungslos sind. Das finde ich sehr verantwortungsvoll. Wichtig wäre auch, dass jemand mit denjenigen spricht, die Geflüchtete bei sich aufnehmen wollen.
Warum?
Weil leider im Überschwang der Gefühle Wohnraum angeboten wird, ohne dass es wirklich geeignete Räume dafür gibt, um längere Zeit gut zusammenleben zu können. Viele machen sich vorher nicht klar, was es heißt, Geflüchtete aufzunehmen. Und dass diese Nähe in privater Unterbringung von vielen Ukrainer:innen gerade gar nicht gewünscht wird. Das sind Menschen, die sich aus Angst vor Bomben verstecken mussten, womöglich Freunde und Angehörige verloren haben. Die haben ganz andere Sorgen, als sich jetzt mal interkulturell zu unterhalten.
Ist Geschäftsführer des Flüchtlingsrats Niedersachsen. Der Verein setzt sich seit fast 40 Jahren für bessere Lebensbedingungen für Geflüchtete ein.
Aber haben wir nicht aus den Erfahrungen aus 2015 und 2016 gelernt?
Es sind ja nicht unbedingt dieselben, die ihre Hilfe anbieten. Was jetzt auf jeden Fall besser ist, ist der gesetzliche Rahmen. Für die ukrainischen Geflüchteten wurde in Windeseile ein neuer Status aus der Taufe gehoben, der es möglich macht, die Menschen außerhalb des Asylverfahrens aufzunehmen. Hinzu kommt, dass die Behörden sich in vielen Bundesländern auf ein sehr pragmatisches Vorgehen geeinigt haben, nach dem die Betroffenen selbst entscheiden können, wo sie leben wollen. Das ist ein wahrer Segen, weil dieses Ausgeliefertsein im regulären Asylverfahren schon immer ein Faktor war, der die Leute belastete und krank machte. Gerade Kriegstraumatisierte brauchen die Möglichkeit, ihr Leben eigenständig zu gestalten, weil das Gefühl der Selbstwirksamkeit ihre psychische Gesundheit stärkt.
Kai Weber, Niedersächsischer Flüchtlingsrat
Was ist mit denen, die nicht wissen, wohin?
Die staatlich organisierte Aufnahme besteht parallel weiter, mit zentralen Aufnahmestellen.
Sind die sinnvoll?
Ja. Bei einem großen Zustrom von Menschen braucht es größere Zentren, die in der Lage sind, diese kurzfristig für wenige Tage unterzubringen, weil sie ein Dach über dem Kopf brauchen.
Das wäre ja auch privat möglich.
Ja, aber neben den Problemen, die ich schon angesprochen habe, braucht es meistens mehr als einfach nur einen Schlafplatz. In den Zentren bekommen die Leute die Hilfe, die sie brauchen. Von Leuten, die sich auskennen, auch ausländer- und sozialrechtlich. Sie bekommen einen Aufenthaltsstatus und damit eine Krankenversicherung, sie werden gesundheitlich gecheckt, und es wird geguckt, wo sie weiter bleiben können.
In der öffentlichen Wahrnehmung gelten diese zentralen Aufnahmestellen als anonyme Massenunterkünfte ohne Privatsphäre.
Wir sind da auch ambivalent. Gemeinschaftsunterkünfte haben wir immer für ein notwendiges Übel gehalten, das nur für einen kurzen Übergangszeitraum akzeptabel ist. Wichtig ist, dass es eine zeitnahe Perspektive auf ein eigenständiges Wohnen gibt. In Deutschland betreiben wir diese Sammellager aber teilweise über Jahre, da kommen Menschen gar nicht mehr raus, weil ein kommunales Auszugsmanagement fehlt und die Betroffenen auf dem freien Wohnungsmarkt nicht konkurrenzfähig sind. Wenn die Menschen notgedrungen länger in Sammellagern leben, dann muss man auch die Standards anpassen, denn die Notunterkünfte haben in der Regel welche, die für Wohnen niemals akzeptiert würden. Keine Privatsphäre, teilweise fehlende Zimmerdecken, eine Hausordnung, die unter anderem Besuch nach 22 Uhr verbietet oder das Umstellen von Betten.
Aber bezahlbare Wohnungen sind nun mal knapp.
Wirklich? Oder werden sie nicht vermietet, weil sie Spekulationsobjekte sind? Wenn ich jetzt sehe und höre, welcher Wohnraum, teilweise ganze Wohnparks angeboten werden zur kurzfristigen Unterbringung der ukrainischen Geflüchteten, bin ich sprachlos.
In manchen Bundesländern gibt es derzeit zu wenig Plätze in den Notunterkünften, weil so viele Lager in den letzten Jahren wieder geschlossen wurden. Dort sind sie auf private Initiativen angewiesen. Im Grunde bräuchte es ein System, in dem sehr schnell solche Sammelstellen wieder eröffnet werden könnten, oder?
In Niedersachsen gibt es das, ehemalige Kasernen, irgendetwas, für das man im Moment keinen praktischen Nutzen hat. Weil sie unattraktiv sind, haben sie keinen hohen Marktwert und deshalb kann man sich das leisten, das ist in den Stadtstaaten anders. Wir plädieren jetzt nicht dafür, in großem Stil Sammellager zu bauen, aber wir wünschen uns ein lebendiges System, in dem man kurzfristig Plätze rekrutieren kann.
Abgesehen von den Notunterkünften: Waren die Behörden aufgrund der Erfahrungen von 2015 und 2016 so vorbereitet, dass private Initiativen nicht mehr so wichtig waren?
Nein, ganz am Anfang nicht, da haben Personen und zum Teil auch Busse im Auftrag von Unternehmen Geflüchtete an der Grenze abgeholt und dafür gesorgt, dass sie irgendwo untergekommen sind. Zu einem Zeitpunkt, als der Staat noch nicht handlungsfähig war. Aber ich stelle fest, dass die Reaktionszeit der Behörden durchaus kürzer war als beim letzten Mal. Sie waren sehr viel schneller im Krisenmodus und haben jedenfalls hier in Niedersachsen sehr konkret Maßnahmen ergriffen, die die Situation entspannt haben. Es gibt auch viel mehr mehrsprachige Informationsseiten im Netz als damals.
Haben Sie den Eindruck, dass sich Menschen, die in den Vorjahren geflüchtet sind, nun als Geflüchtete zweiter Klasse erleben?
Ja, das habe ich hier und da schon gehört. Ich nehme auch wahr, dass die ukrainischen Geflüchteten privilegiert werden. Sie kommen schneller an Wohnungen, werden pragmatischer unterstützt, kriegen staatlicherseits die Leistungen schneller und besser als andere. Und an dem einen oder anderen Ort stopft man Bewohner:innen in andere Einrichtungen, um Platz für die Ukrainer:innen zu schaffen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour