piwik no script img

„Anpassungsverpflichtungen für beide Seiten!“

■ Wenn die DDR-Mark konvertibel wird, sind internationale Reglements notwendig - sonst teilt die DDR das Schicksal der hochverschuldeten Länder

In der letzten Woche hielten Elmar Altvater und Kurt Hübner in West-Berlin einen Vortrag mit dem Titel „Wiedervereinigung durch die Börse? - Wie teuer ist uns die DDR?“ Wir veröffentlichen daraus Passagen, die sich mit den Konsequenzen für die BRD beschäftigen - wenn die DDR nicht im Strudel der Krise regelrecht zusammenbricht. Die beiden Autoren sind Hochschullehrer am Fachbereich Politische Wissenschaften der Freien Universität Berlin.

Wir müssen uns selbst am Portepee packen. Wir sind keine Beobachter in der Loge des Welttheaters, so nahe an der Bühne, daß man den Schweiß der Schauspieler riechen kann. Der Umbau in der DDR hat Folgen hier, bei uns.

Am einfachsten machen es sich die, die sich nicht ans Portepee, sondern ins Portemonnaie fassen: Wie teuer ist die DDR, was kann man kaufen? Während Geier sich aufs Aas stürzen, sind die unsrigen auf die frischen Filetstücke aus

-der Rest ist sowieso uninteressant. Der DDR-Ökonom Rainer Land beschreibt das so: „Wenn die DDR-Wirtschaft aus der Unterordnung unter die staatliche Zentrale entlassen und der Kapitalverkehr internationalisiert wird, dann ist die DDR das optimale Feld kapitalistischer Wirtschaftsstrategien: niedriges Einkommensniveau, niedriger sozialer Standard, geringe wirtschaftliche Mitbestimmungsrechte, geschwächte und unerfahrene Gewerkschaften, wenig öffentlicher Druck auf Wirtschafts- und Kapitalinteressen und kaum vorhandene öffentliche Kontrolle der Wirtschaft. Das Traumland des Kapitals.“ Beste Aussichten?

Unternehmen im Westen schützen sich gegen „hostile take overs“, feindliche Übernahmeangebote, indem sie sich überschulden oder sich lahme Betriebe zulegen, die die Rentabilität mindern. Sie machen sich so uninteressant für die in liquiden Mitteln schwimmenden smarten Unternehmensaufkäufer. Die DDR-Wirtschaftsplaner haben eben diese Strategie verfolgt, wenn auch nichtsahnend oder andere Absichten verfolgend. Die DDR-Wirtschaft ist insgesamt wohl uninteressant, von den Juwelen im Brotteig abgesehen. Mit anderen Worten: Wenn DDR-Unternehmen verkauft würden oder in der Form von Joint-ventures mit westlichen Unternehmen gemeinsame Sache machen, dann bleibt noch ein gehöriger Rest von Ladenhütern in der DDR-Ökonomie.

Deren Sanierung ist von den flotten Unternehmern des Westens nicht vorgesehen und müßte von der Gesellschaft der DDR oder durch staatliche Kredite und Subventionen aus der BRD aufgebracht werden.

Wie teuer wird die DDR? Die Frage können nur die aufwerfen, die der Preis von allem und der Wert von nichts interessiert. Sie ist falsch gestellt. Richtig müßte sie lauten: Was muß die BRD tun, damit der Prozeß radikaler Reformen in der DDR nicht blockiert wird? Die Gründe für die Notwendigkeit der Hilfe sind prinzipieller Natur. Es ist für nachbarschaftliche Beziehungen im Europäischen Haus nicht zuträglich, wenn es aus dem einen Zimmer nach Braten duftet und aus dem anderen nur Kohl dampft.

Zentraler Punkt:

Das Geld und dessen Wert

Welche Konsequenzen sich für die BRD ergeben, wenn die DDR ihre Wirtschaftsreformen durchführt, soll an einem zentralen Punkt verdeutlicht werden: am Geld und dessen Wert. Es geht um die Konvertibilität der Währung der DDR. Deren Einführung ist für die DDR-Wirtschaft (und die anderen Volkswirtschaften des RGW) eine dringende Notwendigkeit geworden. Ein offensichtlicher Grund ist der Devisenbedarf der reisehungrigen DDR-Bürger, nach so langer Zeit verständlich. Wichtiger aber ist die Bedeutung der Währungskonvertibilität für ein stimmiges Preissystem, und dieses wiederum ist Voraussetzung für die Reform der DDR -Wirtschaft an Haupt und Gliedern. Die durch Nicht -Konvertibilität abgeschirmten Preisrelationen haben ja nicht nur in der DDR mit der Zeit zu ineffizienten Fehlallokationen (Verteilungen von Produktionsfaktoren, -Red.) in der Ökonomie und daher auch zu Wachstums- und Wohlstandseinbußen geführt. Die Ökonomie bleibt zurück - vor allem bei der Produktivität der Arbeit, aber auch bei der Produktpalette, die im Lande gekauft werden kann. Der Vergleich der Wirtschaften von BRD und DDR, von den gen Westen reisenden Touristen massenhaft angestellt, legt davon Zeugnis ab. Die Beschränkung der Konvertibilität löst also Probleme, indem neue aufgeworfen werden.

Um die Fehlallokationen und das Zurückbleiben der Ökonomie zu vermeiden, müssen die uneinheitlichen Relationen zwischen den Preisen der nationalen Ökonomie und den Preisen auf dem Weltmarkt durch einen einheitlichen Kurs ersetzt werden. Dieser kann sich aber nur auf dem Devisenmarkt bilden. Die Währung muß also gehandelt werden können. Ein freier Devisen -Schwarzmarkt ist sowieso schon entstanden, wenn die DDR -Bürger reisen und mehr Devisen benötigen als ihnen zum offiziellen Kurs zur Verfügung gestellt werden.

Der Kurs auf diesem Markt hat nichts mit dem offiziellen Kurs und so gut wie gar nichts mit Kaufkraftparitäten zu tun; er reflektiert nichts als die auf den Markt geworfenen Frustrationen über ein Geld, das in der nationalen Zirkulation eine zu hohe Kaufkraft (wegen des knappen Güterangebots) und in der vom Weltmarkt bestimmten Zirkulation eine unzureichende Kaufkraft besitzt, um auch nur einen kleinen Teil der glitzernden Warensammlung erwerben zu können.

Zur Absicherung der Konvertibilität, oder besser: zur Abwendung der negativen Effekte von Konvertibilität, also zur Verhinderung der für die nationale Ökonomie schädlichen Bewegungen des Wechselkurses sind internationale Reglements notwendig. Denn der Wechselkurs einer nationalen Währung kann beispielsweise durch den Beitritt zu einem internationalen Fonds, der über interventionsfähige Währungen verfügt, abgesichert werden, wenn das Land nicht selbst über Geld- und Devisenschätze verfügt, sich also nicht in einer starken internationalen Gläubigerposition befindet.

Die Mittel des Fonds können auf den Devisenmärkten eingesetzt werden, um kurzfristige Zahlungsbilanzprobleme eines Landes zu lösen und den Abwertungsdruck auf schwache Währungen zu mindern. Diese Überlegung veranlaßte die westlich-kapitalistischen Länder nach dem Zweiten Weltkrieg zur Bildung des Internationalen Währungsfonds auf der berühmten Konferenz von Bretton Woods im Jahre 1944. Wenn ein Land vorübergehende Defizite der Zahlungsbilanz aufweist, dann kann es auf harte Devisen zur Abwehr von Spekulationen gegen die eigene Währung zurückgreifen. Voraussetzung für die Funktionsweise des Fonds ist also eine Asymmetrie: Es muß Länder mit starker Währung geben, wenn solche mit schwacher Währung existieren. Dies wäre kein Problem, wenn nicht die Schwäche der einen die Bedingung der Stärke des anderen wäre.

Daher ist die Konvertibilisierung der DDR-Währung und die Integration in das westliche, in das kapitalistische Währungsregime eine riskante Operation, wenn an Elementen der sozialistischen Gesellschaftsordnung (kollektives Eigentum; Partizipation in den Betrieben und gesellschaftlichen Institutionen; ein hohes Maß an Verteilungsgerechtigkeit; gute Versorgung mit öffentlichen Diensten usw.) festgehalten werden soll. Aber hat die DDR derzeit eine Alternative?

Kaum, und daher bietet sich für die DDR zunächst die Konstruktion eines Devisenfonds zusammen mit der BRD an. Dies ist naheliegend wegen der Bedeutung der Wirtschaftsbeziehungen, des Tourismus und weil die wichtigsten Devisenmärkte für die DDR in der BRD und West -Berlin liegen - ganz abgesehen von den ethnischen, sprachlichen, historischen Banden zwischen den beiden Deutschländern.

Spannungen bis zur Krise

und zum Scheitern

Über die Notwendigkeit der Errichtung eines gemeinsamen Devisenfonds besteht ja weitgehende Einigkeit. Die zentrale Frage allerdings ist, mit wieviel DM und DDR-Mark dieser Fonds quantitativ ausgestattet und wie er qualitativ konstruiert werden soll. In diesem Zusammenhang wäre an die Debatten bei der Gründung des IWF zu erinnern, die ja seit dem Scheitern des ursprünglichen Systems von Bretton Woods wieder aufgelebt sind. So wie der IWF konzipiert war und ist, haben die schwachen Defizitländer bei Ungleichgewichten der Zahlungsbilanz und einem entsprechenden Abwertungsdruck auf die Währung die wirtschaftspolitische Anpassungslast zu tragen. Überschußländer mit harter Währung hingegen müssen sich keiner verpflichtenden „Konditionalität“ unterwerfen. Und daher bleiben die Länder mit starker Währung stark und diejenigen mit schwachen Währungen schwach. Die Spannungen in dem Fonds werden also durch die Art und Weise, wie er funktioniert, verstärkt - bis zur offenen Krise und zum Scheitern des Projekts.

Diese einseitigen Regeln sind freilich erst nach heftigen Auseinandersetzungen bei der Gründung des Währungsfonds zustandegekommen; sie reflektieren die damaligen Interessen der USA (das einzige Land am Ende des Zweiten Weltkriegs mit intakter Ökonomie und daher unangefochten starker Währung), die mit dem „White Plan“ durchgesetzt werden konnten. Demgegenüber hatte der „Keynes-Plan“, von Großbritannien präsentiert, neben den Anpassungsverpflichtungen von Defizitländern mit schwacher Währung auch solche von Überschußländern mit starker Währung vorgesehen: Sie sollten eine Politik des Abbaus der Überschüsse der Leistungsbilanz betreiben, um damit den Defizitländern die Beseitigung der Löcher in der Zahlungsbilanz zu erleichtern.

Diese Überlegungen können bei den Diskussionen um die Errichtung des gemeinsamen Devisenfonds von BRD und DDR aufgegriffen werden. Etwa so:

Beide Länder schießen in den gemeinsamen Fonds - dem zu erwartenden zwischenstaatlichen Handel und Tourismus angemessen - vier bis fünf Milliarden DM in Mark der DDR und der BRD ein. Der Fonds dient dazu, Defizite der Zahlungsbilanz kurz- und mittelfristig (dreimonatig bis eineinhalbjährig) zu finanzieren, ersetzt also nicht langfristige Kredite und Zuwendungen, die der Finanzierung von Industrieprojekten, der Sanierung der kaputten Umwelt oder von Infrastruktureinrichtungen dienen. Die dafür notwendigen Beträge sind auch wesentlich höher als die Ausstattung des Devisenfonds zur Kurssicherung. Es ist anzunehmen, daß in den kommenden Jahren vor allem auf DM zurückgegriffen wird, so daß die hauptsächliche Finanzierungslast bei der Deutschen Bundesbank liegt.

Realistisch ist davon auszugehen, daß angesichts der Stärke der DM, des Devisenbedarfs aufgrund des nun losgelassenen fast 30 Jahre aufgestauten Reisebedarfs und der Zahlungsvperflichtungen auf die Außenschulden von derzeit bekannten 20,6 Milliarden US-Dollar die DDR zunächst hohe Defizite der Leistungs- und Kapitalbilanz aufweisen wird, bei denen der Fonds mit seinen Finanzierungsfazilitäten in DM reagieren muß. Als Gegenposten sammeln sich dann Bestände von DDR-Mark beim Fonds an (die gleichzeitig Forderungen der Bundesbank an die Zentralbank der DDR und deren Verbindlichkeiten gegenüber der Bundesbank sind). Die wachsenden Verbindlichkeiten der DDR beim Fonds würden ökonomische Anpassungsverpflichtungen auslösen, um sie in angemessener Frist zu verringern.

Die DDR könnte zur Abwehr der Währungsschwäche nur mit internen, strukturellen Anpassungsmaßnahmen reagieren. Diese dauern lange Zeit, und während sie laufen, würde die Währung immer weiter unter Druck geraten, so daß das Gelingen der Anpassung mit der Zeit immer schwieriger würde. Belege für diese pathologische Wirkungsweise der Anpassungspolitik sind die Fehlschläge von verschuldeten Ländern der Dritten Welt und Osteuropas heute: Nach einem Jahrzehnt von Umschuldungen und Anpassungsprogrammen des IWF sind die Länder, die sich der Prozedur unterzogen haben, höher verschuldet als zuvor, und die Ökonomien sind ruiniert. Dies läßt sich für die afrikanischen Länder ebenso sagen wie für ganz Lateinamerika oder Polen und Jugoslawien. Eine Tragödie also, wenn sich Länder mit schwacher Währung an die Weltmarktbedingungen anpassen müssen, ohne daß die starken Länder gezwungen werden, ihre komfortable Position als Überschußländer zu räumen.

Anpassung

auf beiden Seiten

Um also das schwache Land nicht weiter zu schwächen und die Währung des starken Landes nicht auf dessen Kosten zu festigen, sollten sich die Anpassungsverpflichtungen auf beide Seiten beziehen, wie es der in Bretton Woods 1944 präsentierte Keynes-Plan vorsah. Auch das Überschußland müßte also reagieren, zumals es über eine starke Währung verfügt. Die Konditionalität für Überschußländer könnte beispielsweise so gestaltet sein: Erreichen die Überschüsse einen bestimmten Prozentsatz der Quote, dann müssen sie entweder ausgegeben werden oder sie werden, wenn sie zu lange andauern (zum Beispiel mehr als 18 Monate), mit einem progressiven Negativzins (bei mehr als 25 Prozent der Quote drei Prozent; bei 50 Prozent der Quote fünf Prozent; bei 100 Prozent der Quote zehn Prozent usw.) belastet, das heißt, der Überschuß zehrt sich langsam auf. Also: Überschüsse der BRD gegenüber der DDR können dauerhaft nicht akkumuliert werden.

Natürlich ist diese Regelung mit Zuschußzahlungen der BRD verbunden, und möglicherweise würde dadurch die starke DM auf den westlichen Devisenmärkten geschwächt. Die Zuschüsse sind aber doppelt gerechtfertigt: Erstens als Kompensationen für bislang unentgeltliche Leistungen der DDR an die BRD, darunter besonders der Transfer von „Humankapital“. Zweitens kann nur so eine Stabilisierung der DDR-Wirtschaft erreicht werden, also die Voraussetzung dafür, daß die Wirtschaftsbeziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten ausgebaut und die „Vertragsgemeinschaft“ errichtet werden können. Würde die Konvertibilität der DDR-Mark eingeführt, solange die Wirtschaft schwach ist, wäre das Schicksal von hochverschuldeten Ländern unausweichlich.

Dies könnte im Interesse spekulativen Kapitals aus dem Westen liegen, das sich billg in die DDR einkaufen möchte. Es kann aber weder im Interesse von Bevölkerung und Regierung der DDR liegen noch für eine „Vertragsgemeinschaft“ oder eine „Konföderation“ nützlich sein, ganz abgesehen von den politischen Negativfolgen einer ökonomischen Destabilisierung in Mitteleuropa, auf der Schneide zwischen Westen und Osten.

Kurz: Konvertibilität der Währung kann nicht bedeuten, daß die DDR-Mark auf freien Devisenmärkten nach Angebot und Nachfrage gehandelt wird und ein möglicher Kursverfall mit der Wirkungsweise des Marktmechanismus legitimiert würde. Vielmehr müssen die Märkte, auf denen Währungen gehandelt werden, politisch reguliert werden. Das kostet auch die BRD etwas, zum Beispiel auch Abstriche an der Härte der DM; aber ohne die doppelte Konditionalität ist der Übergang zur Konvertibilität angesichts der Überlegenheit der BRD -Ökonomie auf dem Weltmarkt für die DDR wahrscheinlich ein Schritt in die ökonomische und daher auch politische Abhängigkeit. Zur schrittweisen und kontrollierten Konvertibilität der Währung gibt es aber keine Alternative.

Wir kommen zum Schluß: Wenn uns die DDR aus den genannten moralischen Gründen und wegen der politischen Interessen in der BRD „teuer“ ist, dann muß auch von westdeutscher Seite alles getan werden, damit nicht die schnellen Geschäftemacher das teure Stück billig erwerben können. Sonst zahlen wir alle, in der DDR wie in der BRD, schließlich einen hohen Preis.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen