Anonymous-Projekt „Anontune“: Musik aus der Grauzone
Kostenlose Musik, ganz legal – das behaupten die Macher von „Anontune“. Sie wollen ein Schlupfloch gefunden haben: Ihre Seite spielt Musik von Youtube ab.
BERLIN taz | Für 4,1 Millionen Briten wurde es am Mittwoch ein wenig schwieriger, an Musik zu kommen. Da kam mit Virgin Media der erste Internet-Provider im Vereinigten Königreich einem Urteil des Londoner High Court nach, das verfügt, dass fünf große Provider ihren Kunden den Zugang zur Filesharing-Website The Pirate Bay sperren müssten. Diese verletze geltendes Urheberrecht.
Solche Probleme soll demnächst Anontune beheben. Das hofft zumindest jene Gruppe des Aktivisten-Netzwerks Anonymous, die diese neue Musik-Plattform derzeit entwickelt. In einem Video und einem „White Paper" genannten Grundsatzpapier erklärten die Anontune-Macher nun ihre Absichten, Vorgehensweise und Ziele. Die zentrale Aussage der Medienoffensive: Anontune soll den Musikkonsum revolutionieren - und das auch noch völlig legal.
Um das zu gewährleisten, hätte man, so verkündet eine düster drohende Stimme in dem Video, „von unseren Vorgängern gelernt". Deshalb hostet Anontune selbst keine Songs, sondern dient nur als Suchmaschine für bereits im Netz zur Verfügung stehende Inhalte. Die Site, so heißt es im „White Paper", „steht an der Kreuzung von Meta-Information über Musik und deren Distribution“. Anstatt Websites wie YouTube oder Soundcloud einzeln durchsuchen zu müssen, kompiliert Anontune aus solchen Quellen eine Trefferliste und stellt einen Player zur Verfügung, auf dem die gefundenen Songs sofort abgespielt werden können.
Dieser Teil von Anontune, der momentan allerdings auch nicht mehr leistet als die Open-Source-Software Tomahawk, funktioniert bereits recht gut, obwohl auf Anontune noch demonstrativ gewarnt wird: Noch sei die Website „very beta". Später sollen auch Quellen wie Myspace, Torrents oder P2P-Netze erschlossen werden. Ausdrücklich gesucht werden Programmierer, die die Idee weiter entwickeln sollen.
„Facebook, du bist langweilig“
Denn Anontune hat Großes vor. „Facebook, Du bist langweilig, verschwinde", mosern die Verfasser des „White Paper". Stattdessen soll aus Anontune perspektivisch eine Art Musik-Facebook werden. Schon jetzt können eigene Playlists zusammengestellt und mit anderen Usern geteilt werden. Doch damit nicht genug: Anontune soll nicht nur den Zugang zu Musik vereinfachen, sondern „Hörerfahrungen mit Bio-Feedback weiterentwickeln".
Ob es jemals soweit kommt, bleibt abzuwarten. Denn wie jede Website, die ihren Benutzern einen ungehemmten Zugang zu Musik verspricht, wird sich auch Anontune mit den Ansprüchen der Musikindustrie auseinander setzen müssen. Die Anonymous-Aktivisten glauben, das Problem gelöst zu haben, indem sie de rechtlichen Fragen auf die Quellen wie Youtube abwälzen. Natürlich würden dort auch urheberrechtlich geschützte Inhalte hochgeladen. Aber: „Die rechtliche Verantwortung diese zu entfernen liegt in den Händen dieser Dienste, nicht bei Anontune."
„Dieses Mal“, verspricht Anonymous im Video, „wird das Gesetz auf unserer Seite sein.“ Doch ob tatsächlich ein Schlupfloch gefunden wurde und die Trickserei den erwartbaren Klagen standhält, wird man sehen. Zumindest die Konsumenten dürften bislang auf der sicheren Seite sein, denn auf ihre Rechner wird beim Benutzen von Anontune kein urheberrechtlich geschütztes Material herunter geladen, weil Anontune im Prinzip funktioniert wie ein Radio.
Musik „strebt nach Freiheit“
Aber spätestens mit den Prozessen gegen Megaupload oder Kino.to hat sich gezeigt, dass nicht alle Gerichte die Meinung der Anontune-Macher teilen, dass Verteiler von Daten nicht dafür verantwortlich gemacht werden können, wenn diese Daten illegal sein sollten. Oder anders gesagt: Auch ein Radio muss sicherstellen, ob es die Songs, die es sendet, auch senden darf.
Doch für Anonymous dient die Lancierung von Anontune natürlich nicht nur dazu, einen einfacheren Zugang zu Musik zu ermöglichen. Anontune ist auch Teil eines größeren Kampfes gegen „die totalitären Restriktionen und den Terror“ im Netz. Geht es nach dem klandestinen Netzwerk, „liegt es in der Natur der Musik, nach ihrer Freiheit zu streben“.
Ansonsten werden im „White Paper" die üblichen Argumente der Netz-Neoliberalen wiederholt: Piraterie sei kein Diebstahl, weil das Original des Songs ja nicht entwendet wird. Vollkommen frei zugängliche Dienste werden, selbst wenn sie illegal sind, immer beliebter sein als legale, aber in ihrem Angebot eingeschränkte Dienste wie Spotify. Außerdem diene die freie Vervielfältigung und Verbreitung von Musik in letzter Konsequenz den Künstlern, weil es zu „sogar zu rechtmäßigen Verkäufen von Merchandise und anderen Musiknebenprodukten führen könnte".
Es sind also die Kuchenkrümel, die Anonymous den Künstler zugestehen will. Wie diese aber für ihre Kunst künftig tatsächlich substanziell bezahlt werden können, dafür hat auch Anontune keine Lösung anzubieten. Ebensowenig wie für die grundsätzliche Frage, warum YouTube, Soundcloud oder ähnliche Dienste es auf Dauer zulassen sollten, dass sich die neue Website bei ihren Inhalten bedient.
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