Annie Ernaux' „Der Platz“ als Hörspiel: Die Lyrik eines sozialen Aufstiegs
Eine Hörspieladaption muss die Buchvorlage gedanklich atmen lassen. Bei „Der Platz“, am Pfingstsonntag im SR-Kulturradio, ist das gelungen.
Seit zwei Jahrzehnten gedeiht der Hörbuchmarkt und ist während der Pandemie noch einmal deutlich gewachsen. Kein Wunder: wie toll, sich einfach mal aus allem auszuklinken und sich angenehmen Stimmen zu überlassen, die einen dem wohl komponierten Ende einer Geschichte zutragen, ohne dass man dabei selbst eine einzige Entscheidung fällen müsste.
Mit Hörspieladaptionen von Literatur verhält es sich ein bisschen anders. Denn im Glücksfall handelt es sich dabei nicht „nur“ um kompetent vorgelesene Bücher, sondern um hochkomplexe Übersetzungen von einem Medium in ein anderes, von einer Kunstform in eine andere. Besonders schön gelingen dabei solche Übertragungen, denen die „ÜbersetzerIn“ schon beim ersten stummen Lesen Rhythmen, Geräuschtexturen und Denkhaltungen abgelauscht hat. Ästhetische Setzungen, die die Gedanken, Szenen und Atmosphären des Buches atmen lassen, und die sich scheinbar wie von selbst in die fließende, durchlässige, geschmeidige Materie des Akustischen übertragen lassen.
Ein solches Hörstück dient nicht primär der Entspannung; es setzt geradezu sportlich emotionale, intellektuelle und auch physische Impulse. Annie Ernaux' Roman „Der Platz“ hat in seinem Bearbeiter Erik Altdorfer, der Schauspielerin Stefanie Eidt und dem Komponisten Martin Schütz ein kongeniales ÜbersetzerInnenteam gefunden.
Arnaux' leise, strenge, fragmenthafte und auch lyrische Analyse ihrer gesellschaftlichen Aufstiegsbiografie geht weit über die bloße Abarbeitung der sozialen Sprünge hinaus. Soziale Sprünge, die vom Großvater, der im 19. Jahrhundert noch Lohnknecht war, über die Eltern (Fabrikarbeiter und „kleine“ Ladenbesitzerin) bis zur Autorin führen, die nach einer schmerzhaften Ablösung vom elterlichen Milieu, als Gymnasiallehrerin im Bürgertum „ankam“.
Die Macherinnen des Hörspiels haben Ernaux genau zugehört: wie sie dynamisch zwischen Erinnerung, Selbstbefragung und sozialer Außenperspektive wechselt und dabei Schlüsselbegriffe unaufdringlich intensiviert und ihren sachlichen Erzählton sparsam mit Wärme oder Traurigkeit anreichert. Traurigkeit, weil Ernaux den sozialen Aufstieg auch als Verrat an ihrem Vater, dem emotionalen Zentrum des Buchs, erlebte. Eidts Stimmtimbre, ihre Sprechhaltung und Sprechrhythmen übersetzen dieses Werk im Zusammenspiel mit Schütz' Soundvignetten in einen anregenden Wahrnehmungsraum.