piwik no script img

Lob auf die MuseDas ganze Universum müsste heißen wie Du

Der Name der Muse ist so alt wie die gierigen Männerhände, die sie versklavten. Bis heute verzweifelt sie nicht, trotz „Handmaid's Tale“-Zuständen.

Frida Kahlo: „Ich bin meine eigene Muse“ Foto: Capital Pictures/action press

M use, wir kennen uns nicht persönlich, aber ich möchte dir über all die Hate Speech hinweg zurufen, wie sehr ich dich für deine Überlebenskalligrafie feiere. Du und ich, wir beide sind uns nach dem katastrophalen Trumpack der Wildigga Merzbuben begegnet, ­woran du dich vermutlich nicht erinnern kannst. Es war düsterste Nacht um uns herum und im Inneren der Tra(u)-m(a)bahn ließen ein paar Macker mit zu viel Moscow Mule im Blut ihre Mini-Musks spielen. Es war alles nicht sehr schön, aber plötzlich vernahm ich einen schillernden Gegenduft, der darauf hindeutete, dass du dir hinter mir die Nägel lackiertest. Ich überlegte noch, in welcher Himmelsfarbe, da schwebtest du auch schon an mir vorbei Richtung Freiheit.

Du warst komplett in Schwarz gekleidet und hieltest ein riesiges Blazing Red in den Händen, das ich aber nicht sofort zuordnen konnte. Doch dann bremste die Tram ab und in jenem fragilen Moment zwischen Fortschritt und Schockstarre schriebst du in quietschenden Schwüngen deine Bedeutsamkeit an die verspiegelte Scheibe der Fahrerkabine. M-U-S-E prangte nun dort in flammend roten Buchstaben und wird so bald nicht wegzuwischen sein.

Muse, dein Name ist so alt wie die gierigen Männerhände, die bis heute deinen Körper versklaven, ihn zurichten und ihn begrapschen. Trotz deiner göttlichen Abstammung musstest du Jahrtausende lang vor allem dienen, dienen, dienen, bis dich Frida Kahlo mit ihrem Zaubersatz „I am my own Muse“ zumindest ansatzweise aus deiner gebeugten Existenz befreit hat. Statt weiterhin als weiblicher Akt auf Künstler-Canapés zu versauern und den C. Meyers des Literaturbetriebs den Rücken mit Weleda-Öl zu massieren, konntest du dich nun endlich um dich selbst kümmern, bisschen Me-Time und so.

In dieser Zeit hast du aber nicht nur gechillt, du hast auch jede Menge ­großartige, ja ikonische Selfies von dir erschaffen, die der (Kunst-)Welt zeigen, wer du bist, wie du fühlst und was du denkst. Nach getaner Arbeit bist du dann aber auch mal ins Vabali ­gegangen. Um dir dort all die hinreißenden nackten Männerkörper anzusehen, wie sie sich rekeln und vor sich hinglänzen, als ob sie nichts Besseres zu tun hätten.

Tapfer von Welle zu Welle

Es dauerte jedoch nicht lange, da hattest du dich an ihrer Brusthaarpracht satt gesehen und konzentriertest dich lieber wieder mehr auf dich selbst, was ja immer auch mit einer Auslotung der eigenen Seelenlandschaft einhergeht. In dieser Phase der Einkehr merktest du schnell, dass die Zeit der Fremdherrschaft gigantische Verwüstungen in dir und Deinesgleichen angerichtet hatte, die in einem einzigen Musenleben nicht aufzuarbeiten sind. Trotzdem tauchtest du tapfer weiter von Welle zu Welle und hast dabei in vielen Ländern ja auch eine Verbesserung deiner Situation erreicht – wobei du dafür andererseits auch ganz schön oft in die Sauerstoffkammer musstest.

Aber jetzt, wo aus Respekt vor deinen vielen Fights eigentlich sämtliche Plätze dieses Planeten, ja das gesamte Universum nach dir benannt werden müsste, brechen „Handmaid’s Tale“-artige Zustände über dich herein. Du aber verzweifelst nicht, sondern ­spazierst aus Protest gegen deine ­Unterdrückung in Unterwäsche draußen rum. Nein, du verzweifelst nicht und schreibst deinen Namen an die Wand. Immer und immer wieder. Muse!

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Anna Fastabend
Redakteurin wochentaz
Hat mal Jura studiert und danach Kreatives Schreiben am Literaturinstitut in Hildesheim. Hat ein Volontariat bei der Märkischen Oderzeitung gemacht und Kulturjournalismus an der Universität der Künste Berlin. Schreibt über feministische Themen, Alltagsphänomene, Theater und Popkultur.
Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • „Nach getaner Arbeit bist du dann aber auch mal ins Vabali ¬gegangen. Um dir dort all die hinreißenden nackten Männerkörper anzusehen, wie sie sich rekeln und vor sich hinglänzen, als ob sie nichts Besseres zu tun hätten.“



    Nein, haben sie nicht. Sie dienen allein der Muse als Lustsklaven. Was wäre nur aus dem Künstler geworden ohne seine Muse? Vielleicht Taxifahrer. Da fragt man sich schon, wer hier in Wahrheit von wem abhängig, wer wem unterworfen ist?



    Steckte nicht in der Muse schon die ‚Selbstkritik der alten patriarchalen Welt? Da könnten Sie, liebe Frau Fastabend, vielleicht noch zustimmen.



    Aber dass heute „,Handmaid’s Tale‘-artige Zustände“ von überall auf sie hereinbrächen? Da würde die Muse, geübt im Coaching, mit Sicherheit nachfragen: In der Angstlust-Serie, der Biennale, bei Friedrich Merz oder, und das wäre eine echte Sensation, in der taz-Redaktion?



    Was mir unklar blieb: Haben Sie jetzt eigentlich eine Muse oder halten Sie es mit Frida Kahlo?