: Anmut und Valium gegen Politik
■ betr.: "Das Beste nebenbei" (Gudrun Wassermann in der Galerie Ermer) von Peter Herbstreuth, taz vom 28.9.90
betr.: »Das Beste nebenbei« (Gudrun Wassermann in der Galerie Ermer) von Peter Herbstreuth,
taz vom 28.9.90
Zunächst verständnislos, dann bitterböse las ich die »Kritik« über Gudrun Wassermanns derzeitige Ausstellung, denn ich habe dort anderes gesehen und einiges gehört noch dazu.
Die Ausstellung besteht nicht aus »Blow-ups« und einem Film, sondern aus einer komplexen Rauminszenierung, deren Eckpunkte zurückhaltend durch Ton und Bilder gesteckt sind. Ohne diese vielfältigen Vernetzungen der verschiedenen Bestandteile näher zu erläutern, hier nur das Wesentliche: Aus sichtbar aufgestellten Lautsprechern ertönt Gesang von Wassermann, ein hoher, sirrender Ton, der an Trauergesang und Sphärenmusik erinnert. Unterlegt ist dieser Ton von dem gleichmäßigen und sachlichen Surren des Filmprojektors, der in einem Nebenraum steht und dessen winzigkleines Filmbild auf die hinterste Wand der Räume man sich gleichsam voyeuristisch erst entdecken muß.
Die »Pointe« aber, die der Kritiker so genüßlich ans Ende seiner Betrachtungen setzt, kann man nicht sehen! Kein Schildchen, kein Text verweist auf eine Behinderung der dargestellten Frau, und auch die Bilder selbst geben dieses Geheimnis nicht preis, das die Künstlerin mit Bedacht nicht veröffentlicht hat.
Doch wie kann es passieren, daß ein Kritiker diese überflüssige Information zu der Pointe der Ausstellung stilisiert? Ich folge seinem Argumentationsgang: Er beschreibt die Handlung des Films, aber versäumt, das Besondere dieser banalen Handlung der Frau zu kennzeichnen. Ihre Bewegungen sind ganz langsam, ganz bedacht. Jedes Stück Holz wird sorgsam betrachtet und ausgewählt, jeder Schritt scheint überlegt und zeugt von einer tiefen Vertrautheit mit einer Dimension der Dinge, die über die banale Alltagswirklichkeit hinausgeht. Anschließend kommt der Kritiker auf die Vergrößerungen aus dem Film zu sprechen. In der Tat sind diese großen Schwarzweißfotografien verschwommen, verschleiert, doch das Überraschende an ihnen sind große, harte, schwarze Schrammen auf den Bildern.
Kein technisches Mißgeschick, sondern Metaphern von Gewalt, die sich über die Bilder ziehen, ohne die stille Integrität der Dargestellten anzutasten. Ist das »Anmut«, das frau mit der Gewalt lebt? Ich kaufe ihm nicht ab, daß für ihn die alltäglich wiederkehrende reproduzierende Arbeit der Frauen, die sie an die Gegenstände bindet, mit Anmut zu tun hat, auch wenn er vorsichtshalber erwähnt, daß auch er manchmal bügelnd und sinnend aus dem Fenster schaut. Was ihm dazu einfällt ist: Valium. Anmut und Valium.
Kann man die tradierten patriarchalen Zuschreibungen zu »Weiblichkeit« treffender ausdrücken? Wohl kaum. Aber damit keine auf die Idee kommt, ihm dies anzulasten, steckt er das Ganze schnell durch einen Verweis auf die Behinderung in eine abseitige Schublade. So einfach ist es, nicht hinzusehen bei einem Thema, das doch gerade in diesen Tagen trotz oder gerade wegen des Einheitsgetaumels (Valium?) wieder so brennend aktuell ist: Gewalt gegen Frauen. Katja von der Bey, Berlin 61
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