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Anmerkungen zur Flugangst

Mut oder ein Mangel an Phantasie: Der Neandertaler pflegte bei Gefahr zu kämpfen oder zu fliehen. Moderne Menschen hören nicht auf die innere Stimme und fliegen trotz Angstattacken, gedämpft von Alkohol und Tabletten

„Was tun bei Flugangst?“, lautet eine Frage, die nach gewissen unschönen Ereignissen immer wieder durch die Reiseblätter geistert. Die Antwort liegt auf der Hand: „Nicht fliegen“! Komisch nur, dass diese einfachste aller Lösungen nirgendwo erwähnt wird. Aber wer hätte das auch erwartet: In einer Gesellschaft, der nichts wichtiger ist als schrankenlose Mobilität, gilt das Hin- und Herjetten zwischen den Kontinenten als Synonym von Freiheit, und derjenige, der dieser Freiheit nicht teilhaftig wird, als Fossil – als erbärmlicher Versager, der sich am besten gleich freiwillig zur Therapie anmeldet.

Bei wem in Sachen Flugangst etwas versagt, ist allerdings noch nicht ausgemacht. Günther Anders hielt gerade umgekehrt den unerschrockenen Umgang mit der Technik für bedenklich, er interpretierte den entsprechenden Mut als „Phantasiemangel“. Wer in seinem Auto mit 200 Stundenkilometern über die deutsche Autobahn jagt, ist so gesehen kein Held, sondern ein armer Tropf: Er kann sich offenbar nicht vorstellen, was ihm im Falle eines Falles passieren kann – wenn beispielsweise ein Reifen platzt, Tiere plötzlich auf der Fahrbahn stehen, oder Teile von Unfallfahrzeugen von der Gegenfahrbahn herübergeflogen kommen.

Doch zurück zum wirklichen Fliegen: Schätzungen der Deutschen Lufthansa zufolge „verspüren ein bis zwei Drittel aller Flugpassagiere in bemerkenswertem Ausmaß Angstsymptome beim Fliegen“, und „60 Prozent von ihnen betäuben sich vor dem Flug mit Beruhigungsmitteln, mit Alkohol oder mit beidem“. Mit derart stillgestellten Reisenden haben die Airlines natürlich kein Problem. Schwieriger ist es mit denen, die gar nicht erst einsteigen wollen und auf diese Weise allein in den USA für einen jährlichen Einnahmeausfall von zwei Milliarden Dollar sorgen. Doch auch hier weiß sich die Branche zu helfen: Sie bietet aufmunternde Wochenendseminare mit waschechten Psychologen an. In ihnen lernt man ostasiatische Techniken der Entspannung und Tricks der Selbsthypnose, was schön ist. Weniger schön ist, dass man vor die Alternative „Neandertaler“ oder „moderner Mensch“ gestellt wird – und sich entscheiden muss. Der Neandertaler, so wird uns erklärt, pflegt bei Gefahr zu kämpfen oder zu fliehen – beides Aktivitäten, deren Ausübung sich im Flieger als schwierig gestaltet. Anders der moderne Mensch. Er ist solch archaischen Verhaltensmustern entwachsen, hört nicht mehr auf innere Stimmen, sondern fügt sich den Anweisungen und dem Sachverstand des Seminarleiters. Er beruhigt sich also mit der statistischen Unwahrscheinlichkeit eines Absturzes, der ertasteten Anwesenheit einer Schwimmweste unter dem Sitz und der Tatsache, dass sich unter den Fluggästen stets überdurchschnittlich viele praktizierende Ärzte befinden.

Vor diese Wahl gestellt, ist es schwer, nicht doch dem Neandertaler den Zuschlag zu geben: Ist ihm eine Sache nicht geheuer, so macht er einfach einen weiten Bogen um sie. Davon kann ein Zeitgenosse, der sich die schönsten Wochen des Jahres mit Hin- und Rückflug verdirbt, viel lernen. Er könnte einmal seinen ganzen Mut zusammennehmen und im nächsten Urlaub einfach am vertrauten Boden bleiben – auch wenn die modernen Menschen, von denen er umgeben ist, dafür nur ein verächtliches Lächeln übrig haben. Vielleicht lernt er auf diese Weise dann das Gefühl der Freiheit kennen, das er auf anderen Kontinenten immer umsonst gesucht hatte.

GERHARD FITZTHUM

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