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Anklage gegen PolizistHandschuh mit Reizgas benetzt und ins Auge gedrückt

Berlins Amtsgericht verurteilt einen Polizisten wegen Körperverletzung im Amt. Er hatte eine festgenommene Person gezielt mit Pfefferspray verletzt.

Angeklagt wegen Körperverletzung im Amt: Berliner Polizist vor Gericht Foto: Foto: Marijan Murat/dpa

BERLIN taz | Es ist ein seltener Vorgang, der sich am Mittwoch im Berliner Amtsgericht abspielt: Ein Polizist wird wegen Körperverletzung im Amt verurteilt. Die Stimmung zwischen dem Angeklagten und Betroffenen ist ungewohnt versöhnlich.

Die Staatsanwaltschaft hatte Anklage erhoben, nachdem der Polizist im Mai 2022 nach einer vermeintlichen Widerstandshandlung einer Person im Einsatzwagen seine mit Pfefferspray überzogenen Diensthandschuhe mutwillig in die Augen gedrückt hatte. Der Betroffene konnte deshalb im Anschluss auf der Fahrt zur Gefangenensammelstelle nichts mehr sehen und klagte über brennende Augen.

Der angeklagte Polizist gesteht seine Tat unverblümt und zeigt sich reuevoll für das Geschehene. Solche Handlungen spiegeln nicht seine Identität als „grundsätzlich pazifistische Person“ wider, sagt er vor Gericht. Nachdem sein Kollege in der Tatnacht nach einer vermeintlichen Widerstandshandlung verletzt wurde, habe es ihn „überkommen“ und er wollte „Gerechtigkeit herbeiführen“.

Laut dem Betroffenen war es die Polizei selbst, die ihn, als er in dieser Nacht in der Gefangenensammelstelle ankam, auf die Möglichkeit hinwies, den Handschuh-Vorfall zu Protokoll zu bringen. Die Polizei habe auch später ein Ermittlungsverfahren gegen den Polizisten eingeleitet. Dieser hatte sich damals noch in Probezeit befunden. Wegen der Ermittlungen wurde die Probezeit dann erheblich verlängert – nach Aussage des angeklagten Polizisten gilt sie bis heute.

Milde Strafe

Der Betroffene, der vor Gericht als Nebenkläger auftritt, erklärt, dass es anfangs gar nicht in seinem Interesse lag, die Sache weiterzuverfolgen. „Der Tag war lang, wir sind beide jung, sowas passiert“, bekräftigt er auch später im Gespräch mit der taz. „Für mich ist die ganze Sache emotional schon abgeschlossen.“

Sein Anwalt lobt vor Gericht den „musterhaften Täter-Opfer-Ausgleich“, der im Vorfeld des Abschlusstermins stattgefunden hat. Der Polizist hatte 3.000 Euro Schmerzensgeld und 1.000 Euro für entstandene Gerichtskosten an den Geschädigten gezahlt. Versöhnung, Einsicht, Befriedung – das habe der Anwalt „selten so vorbildlich erlebt“, sagt er. Der Vorfall sei „durch die Gesellschaft vollständig verarbeitet“ und der Geschädigte lege keinen Wert auf weitere Bestrafung.

Der Strafverteidiger hätte die Strafe am liebsten ganz an die Polizei selbst outgesourced. Das Gericht müsse im Urteil berücksichtigen, dass der Mandant bereits ein Disziplinarverfahren am Hals habe und die Berliner Polizei den Angeklagten in Zukunft sicher nicht schonen würde. Am Ende stutzt die Richterin den Strafrahmen herunter von mindestens 6 Monaten Haft, die auf Körperverletzung im Amt stehen, auf 70 Tagessätze zu je 80 Euro.

Auf die strukturelle Dimension von Polizeigewalt weisen etwa Langzeit-Untersuchungen der Universität Bochum hin. Demnach finden jährlich in Deutschland im Schnitt 12.000 mutmaßlich rechtswidrige Übergriffe durch Polizeibeamte statt, von denen die meisten unregistriert bleiben. Von den 2.000 offiziellen Ermittlungsverfahren wegen Körperverletzung im Amt landen nur 2 Prozent vor Gericht, in 1 Prozent der Fälle kommt es zu einer Verurteilung. In den verbleibenden 98 Prozent der Fälle erhebt die Staatsanwalt keine Anklage.

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