Anja Krüger über die deutsch-türkischen Wirtschaftsbeziehungen: Jetzt heißt es handeln
Jeden Tag kommen neue schlimme Nachrichten aus der Türkei. Die EU hat als rote Linie, ab der sie Handlungsbedarf sieht, die Einführung der Todesstrafe gezogen. Es sieht ganz so als, als würde Präsident Recep Tayyip Erdoğan das als Freibrief verstehen, alle repressiven Maßnahmen bis zu dieser Grenze ausschöpfen zu können. Das darf die EU nicht zulassen. Die türkische Volkswirtschaft ist auf die EU – und vor allem auf Deutschland – angewiesen. Deutschland ist wichtiger Absatzmarkt für türkische Unternehmen. Gleichzeitig braucht die Türkei die Investitionen aus der Bundesrepublik. Es gibt hier viele Druckpunkte, an denen Erdoğan schmerzempfindlich ist. Die EU und die deutsche Regierung müssen endlich ein unmissverständliches Signal senden, um nicht tatenlos zusehen zu müssen, falls die Türkei Schritt für Schritt vom autokratischen Regime zur Diktatur wird.
Noch ist sie das nicht. Aber der Zeitpunkt zu handeln ist jetzt. Noch könnten eher symbolische Handlungen wie das Auf-Eis-Legen der EU-Beitrittsverhandlungen reichen, um Erdoğan zur Mäßigung zu veranlassen. Diese Chance darf die EU nicht verstreichen lassen.
Dass die Union durchaus auf Kandidaten mit schlechten Beitrittsaussichten Einfluss nehmen kann, zeigt das Beispiel Serbien. 2006 ging es um zwei Kriegsverbrecher, die die EU verhaftet sehen wollte. Das Aussetzen der Verhandlungen reichte, um die gewünschten Ziele zu erreichen. Die EU ist ein wirtschaftlich extrem wichtiger Partner, den zu verprellen die serbische Regierung sich nicht leisten konnte. Erdoğan kann das auch nicht.
Wichtig ist aber eins: Die EU muss den Menschen in der Türkei ein positives Signal geben, dass sie in Europa willkommen sind. Der erste Schritt dazu ist die Abschaffung der Visumspflicht – und zwar ganz unabhängig vom Flüchtlingsabkommen. Damit würde die EU auch den bedrohten Erdoğan-Gegnern zeigen, dass sie sich als Werte- und nicht nur als Wirtschaftsgemeinschaft versteht.
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