Anja Krüger über die Nöte der türkischen Wirtschaft: Verzweifelte Signale
Die Türkei steht nicht nur vor einem politischen, sondern auch vor einem ökonomischen Desaster. Die Wirtschaftseliten versuchen, sich gegen die drohende Abwärtsspirale zu stemmen und hoffen dabei auf die Hilfe des Westens. Der Verband türkischer Industrieller und Geschäftsleute (Tüsiad) fordert in Werbeanzeigen in westlichen Tageszeitungen die Fortführung des EU-Beitrittsprozesses. Der und die demokratischen Standards der EU bilden nach Auffassung der Wirtschaftsvertreter „die beste Grundlage für eine starke Demokratie und globale Wettbewerbsfähigkeit der Türkei.“
Der Verband wird dominiert von reichen Industriellenfamilien. Sie haben viel zu verlieren, wenn die Wirtschaft in die Knie geht. Doch statt einem bloßen Weiter-so ist wirtschaftsdiplomatische Feinstarbeit gefragt. Die EU kann kein Interesse daran haben, dass die türkische Ökonomie zusammenbricht. Die Gefahr, dass Präsident Erdoğan auf einen Abschwung mit noch mehr Repression reagiert, ist groß. Nichts gefährdet seine Macht so sehr wie eine Wirtschaftskrise. Und die droht nach der Ausrufung des Ausnahmezustands, nach „Säuberungen“ und Verhaftungswellen zweifellos. In den vergangenen Jahren ist die türkische Volkswirtschaft stark gewachsen, das war Erdoğans Machtbasis. Erkauft hat er das mit einer enormen Auslandsverschuldung. Wenden sich ausländische Investoren in großem Stil ab, wird es schnell brenzlig. Geldgeber mögen keine Instabilität, ausländisches Kapital fließt bereits ab.
Diese Ausgangslage bedeutet aber auch: Die EU kann und sollte jetzt versuchen, mit wirtschaftspolitischen Maßnahmen Einfluss auf Erdoğan zu nehmen. Das Erste wäre, sofort keine Waffen mehr zu liefern. Und selbstverständlich könnte sie mit Handelsbeschränkungen drohen. In der jetzigen Situation – wie von Tüsiad gefordert – den Beitrittsprozess zur EU einfach fortzuführen, ist angesichts der drohenden Einführung der Todesstrafe allerdings keine Option.
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