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Anja Bensiger-Stolze über Bildungspolitik„Erfordernisse ignoriert“

Anderswo ist die Bildungspolitik beweglicher, sagt Anja Bensinger-Stolze, Landeschefin der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW)

Hat̕s auch nicht leicht: Grundschullehrerin in Hamburg Foto: Axel Heimken/dpa
Kaija Kutter
Interview von Kaija Kutter

taz: Frau Bensinger-Stolze, wieder beginnt ein neues Schuljahr – macht Schulpolitik noch Spaß?

Anja Bensinger-Stolze: In den Nachbarländern ist mehr Bewegung als in Hamburg. In Niedersachsen wird zum neunjährigen Gymnasium zurückgekehrt: Dort beteiligt die Politik alle Akteure und ist gesprächsbereit. Hier in Hamburg sind die Haltungen sehr verfestigt.

Die Schulleiter der Stadtteilschulen haben vor den Sommerferien einen „Aufschrei“ gewagt: Sie seien nicht nur hauptsächlich für Inklusion sondern auch für den Unterricht der Flüchtlinge zuständig – das könne nicht sein. Auch das ist nach kurzer Debatte wieder verpufft.

Schulsenator Ties Rabe hat die Kollegen sogar noch öffentlich abgewatscht: Sie sollten mal beginnen zu arbeiten. Die Bereitschaft, mit den Leuten vor Ort zu reden und, auf sie zu hören, ist leider nicht da.

Bild: Sven Hoppe/dpa
Im Interview: Anja Bensinger-Stolze

52, Lehrerin für Deutsch und Politik, ist seit Mai 2013 Landeschefin der GEW. Zuvor war sie 18 Jahre lang im Schuldienst.

Sie erwähnten von Niedersachsen. Haben Sie Sympathie für die Rückkehr zum Abitur nach Klasse 13?

Ich denke schon, dass die Schüler ganz schön unter Druck sind: Sie machen nach zwölf Jahren Abitur und viele wissen nicht, was sie im Jahr danach anfangen sollen. Das tut vielen nicht gut. Bildung braucht Zeit. Das 13-jährige Abitur bringt ihnen mehr Zeit, sich als Mensch zu entwickeln. Die GEW priorisiert die flexible Oberstufe. Dort können Schüler zum Beispiel ihr Auslandsjahr während der Schulzeit machen und entscheiden, ob sie zwei, drei oder vier Jahre zum Abitur Zeit brauchen. Dies kommt den individuellen Möglichkeiten entgegen.

Aber das Thema ist in Hamburg tot, seit im Herbst 2014 die Volksinitiative pro G9 verlor.

Das stimmt. Aber die Unzufriedenheit ist immer noch da. Wir werden nicht locker lassen und wollen die Debatte weiter führen und am 11. Oktober mit einem Aktionstag zeigen, wo überall der Schuh drückt.

Wo drückt er denn genau?

Wir brauchen eine echte Inklusion. Auch sollten die Flüchtlingskinder auf alle Schulen gleichmäßig verteilt werden. Zudem muss jede Schule die Freiheit haben, ihr Profil so zu entwickeln, das es wie es für ihre Schülerschaft passt. Dafür müsste jede Schule ihre Schüler behalten. Ein Konstruktionsfehler des Zwei-Säulen-Modells ist, dass die Politik den Gymnasien erlaubt, Kinder nach der 6. Klasse abzuschulen. Den Eltern wird suggeriert: Ihr könnt es mit dem Gymnasium versuchen, aber wenn es nicht klappt, fängt die Stadtteilschule die Kinder auf.

Durch diese „Rückläufer“ kommen mehr Kinder auf die Stadtteilschulen.

Aber Kinder, die zwei Jahre lang Misserfolge hatten. Um sie wieder aufzubauen, bedarf es großer pädagogischer Anstrengung. Ein verlässliches, dauerhaftes Lernumfeld fördert die individuelle Entwicklung der Kinder und Jugendlichen. Ein großes Problem ist die Schulformempfehlung nach Klasse 4, bei der die Kinder in gymnasiumsempfohlen und nicht-gymnasiumsempfohlen eingeteilt werden. Nach der Grundschule sollte die Lernentwicklung und nicht eine Schulform im Mittelpunkt stehen.

Diese Gymnasiumsempfehlung nach Klasse 4 ist doch sogar für Eltern ein „Grundschulorden“.

Den braucht man nicht: Beide Schulformen führen ja zum Abitur. Viel sinnvoller ist das Lernentwicklungsgespräch, in dem die Lehrkraft mit Eltern und Kind über die künftige Schulwahl spricht und Wertschätzung zeigen kann.

Wird sich die Aufnahme der Flüchtlingsschüler, auch die Inklusion, im Alltag nicht irgendwie zurecht ruckeln – nach dem Motto: muss ja?

So einfach ist es nicht. Aus unsrer Sicht müssen jetzt die richtigen Weichen gestellt werden, um das Recht auf Bildung auch für alle benachteiligten und geflüchteten Kinder und Jugendlichen zu verwirklichen. Hierfür haben wir in einem Hamburger Appell Gelingensbedingungen formuliert. In diesem Bereich passiert einiges, aber in Sachen Inklusion ist die Bereitschaft des Senators wesentlich geringer. Die Erfordernisse für gutes Lernen, die Lehrkräfte und Leitungen formulieren, werden ignoriert. Und auch die Schulleitungen stehen eben unter Druck von Oben und werden vom Senator nicht gehört.

Ist der Schulbetrieb insgesamt hierarchischer geworden?

Ich sage undemokratischer. Da gab es ein richtiges Roll-back. Wir brauchen wieder eine Schulpolitik, die alle Akteure ernst nimmt.

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