Anhörung im Landtag: Schlaflos in Langenhagen

In Hannover wird mal wieder über Fluglärm diskutiert. Der Flughafenchef ist entsetzt: Die nächtlichen „Ferienbomber“ sind sein Kerngeschäft.

Mehrere Flugzeuge der Firma Tuifly stehen vor dem Flughafen Hannover

Für Tuifly kommt die Fluglärm-Debatte zur Unzeit Foto: Julian Stratenschulte/dpa

Hannover taz | „Wenn nächtlicher Lärm wirklich so schädlich wäre, müsste ich ja längst unter der Erde liegen“, sagt Hannovers­ Airport-Chef Raoul Hille gleich zu Beginn seines Statements. Immerhin habe er kleine Kinder und arbeite seit Jahrzehnten am Flughafen. Welchen nächtlichen Lärmquellen der Ingenieur auch immer ausgesetzt ist: Feingefühl ist offenbar auch tagsüber nicht seine große Stärke.

Denn bei der Anhörung zum Thema Fluglärm, die von den Landtagsfraktionen von CDU und SPD in Hannover gemeinsam organisiert worden ist, holzt Hille munter weiter. Wenn die Regierungskoalition ernsthaft eine weitere Einschränkung der Nachtflüge in Erwägung ziehen sollte, sollte sie als einer von zwei öffentlichen Trägern bitte schön auch gleich die dicken Scheckbücher mitbringen, sagt er: Für die Entschädigung des privaten Investors, die Sozialpläne, das dann absehbare Defizit des Flughafens.

Das ist der Punkt, wo selbst CDU-Fraktionschef Dirk Toepffer unwirsch wird und den Flughafenchef in seine Schranken weist. Das ist allerdings­ auch der Punkt, an dem deutlich zu spüren ist, wie blank die Nerven in der Branche liegen. „Absolut­ kein Verständnis“ habe er für den Zeitpunkt der Anhörung, sagt Hille noch. Immerhin ist man gerade erst dabei, sich aus der Coronakrise zu berappeln. Es werde sicher noch bis 2024 oder 2025 dauern, bis man Vor-Corona-Niveau erreicht habe.

Die nächtliche Fliegerei ist dabei ein wesentlicher Bestandteil des hannoverschen Geschäftsmodells – sehr zum Leidwesen der betroffenen Anwohner. In Norddeutschland gibt es keinen anderen Flughafen mit so wenigen nächtlichen Einschränkungen, was Hannover zum bevorzugten Start- und Landepunkt für touristische Charterflüge macht, im Volksmund: Ferienbomber.

Gesellschaften wie die heimische Tuifly können damit die Maschinen­ besser auslasten und sie eine zusätzliche­ Runde Richtung Mittelmeer drehen lassen. Auch deshalb, mahnt der Tuifly-Vertreter bei der Anhörung, solle man mit Einschränkungen vorsichtig sein: Da entfielen dann nämlich nicht nur die Nachtflüge, sondern auch ein Teil des Tagesgeschäfts, weil es sich unter Umständen nicht mehr lohne, Hannover überhaupt anzusteuern.

Hoffen auf die Technik

Das sagt auch Holger Ulbrich, der bei der Stadt Hannover als Leiter der Beteiligungsmanagements für den Flughafen zuständig ist. 30 Prozent des Umsatzes und 2.400 Arbeitsplätze hängen seiner Einschätzung nach an den Nachtflügen. Immerhin werden die Hälfte der Luftfracht und gut 20 Prozent der Passagiere nachts abgefertigt.

Der zuständige Staatssekretär aus dem Verkehrsministerium, Berend­ Lindner (CDU), betont außerdem die hohen rechtlichen Hürden für weitere Eingriffe: Die geltenden Lärmschutzgesetze würden ja eingehalten, der Flughafen unterhalte ein umfangreiches eigenes Messsystem, dessen Ergebnisse regelmäßig vom Umweltministerium überprüft würden. Und auch die bestehenden Darlehensverträge zur Bewältigung der Corona-­Ausfälle basierten natürlich auf dem bestehenden Wirtschaftsplan – da mal eben die Geschäftsgrundlage zu ändern, sei schwierig.

Erst vor anderthalb Jahren hatte das zuständige Verkehrs- und Wirtschaftsministerium eine Nachtflugregelung erlassen. Die sieht vor, dass dort nachts nur noch Maschinen starten und landen dürfen, die mindestens der Einstufung als Kapitel-4-Maschinen durch die Internationale Zivilluftfahrtorganisation ICAO entsprechen. Das sind fast alle neueren Maschinen, unter das lautere Kapitel 3 fallen allenfalls noch Flugzeugtypen wie die früheren Airbus-Modelle A300 und A310 oder Boeing 757 und 767 – sofern sie nicht nachgerüstet wurden.

Auf technische Lösungen hoffen allerdings die meisten Branchenvertreter in dieser Runde, Tuifly hat beispielsweise unter anderem Boeing 737 Max eingekauft – die sollen viel leiser sein, wenn sie denn nach all den technischen Problemen, zwei Abstürzen und zwei Jahren Flugverbot nun endlich mal ausgeliefert werden und starten können. Das gehört zu den Hauptargumenten der Fluglärmgegner: Es dauert ewig, bis neue Flugzeugtypen den Markt so weit durchdringen, dass die Effekte messbar sind. Und vor allem die günstigen Charterflieger operieren häufig mit älteren Flotten.

Dieter Poppe von der Bürgerinitiative BON-HA („Besser ohne Nachtflug Hannover Airport“) tritt auch dem oft gehörten Argument entgegen, hier würden sich nur Leute beklagen, die sich erst noch über günstiges Bauland gefreut hätten: „Als wir 1985 gebaut haben, gab es rund 850 Nachtflüge im Jahr. Mittlerweile sind es über 15.000 Nachtflüge im Jahr.“ Das zeigt auch der Jahresbericht des Fluglärmbeauftragten: Während die Gesamtzahl der Flüge in Hannover-Langenhagen­ zurückgegangen ist, ist die Anzahl der Nachtflüge gestiegen.

Krank wegen des Lärms

Poppe verweist deshalb noch einmal eindringlich auf die Erkenntnisse, die Prof. Dr. med. Thomas Münzel als Gesundheitsexperte zu Beginn der Anhörung referiert hatte. Zahlreiche Studien belegen einen deutlichen Zusammenhang zwischen Lärmbelastungen und Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Vor allem die nächtlichen Schlafstörungen hätten einen messbaren Effekt auf den Blutdruck, der sich sogar zeige, wenn die Leute nicht einmal aufwachten, sagte Münzel. Auch die kognitive Entwicklung von Kindern werde eingeschränkt. Und natürlich sei der negative Effekt auf die Gesundheit noch einmal deutlich höher, wenn man sich über den Lärm ärgere.

Die Bürgerinitiative hätte deshalb am liebsten ein komplettes Nachtflugverbot. Der Experte plädiert dafür, zumindest die möglichen aktiven Schallschutzmaßnahmen – wie etwa GPS-gesteuerte Routen über bevölkerungsarmen Gebieten und einen möglichst gleichmäßigen Auf- und Abstieg der Flugzeuge erst einmal vollständig auszuschöpfen.

Ob Einschränkungen des nächtlichen Flugverkehrs möglich sind, ohne den Flughafen Hannover in den Ruin zu treiben, soll nun nach dem Willen der CDU- und SPD-Fraktionen ein Gutachten klären.

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