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Angst vor Fremden und Forschern

Was passiert, wenn russische Juden in ein ostdeutsches Dorf kommen? Eine Ethnologin hat die Veränderungen monatelang beobachtet – und ihre Ergebnisse den Dorfbewohnern vorgestellt  ■ Aus Winterfeld Christoph Trapp

So voll wie an diesem Abend war der Versammlungsraum schon lange nicht mehr. Über 80 Winterfelder sind gekommen, um Susanne Spülbeck wiederzusehen. Die Berliner Ethnolgin war 1991 für 16 Monate in das Dorf im Thüringer Wald gezogen, um zu beobachten, wie die Einwohner auf die Ankunft und das Leben der jüdischen Flüchtlinge aus Rußland reagierten. „Ordnung und Angst“ heißt ihr im Frühsommer erschienenes Buch (taz vom 24. Juni). Vergangene Woche kam sie zurück, um mit den Einwohnern über das Buch zu diskutieren.

Die Atmosphäre im „Haus des Gastes“ ist nicht unfreundlich, aber verkrampft. Die Ethnolgin berichtet, daß sie versuchte, „Menschen in einer Zeit des Umbruchs zuzuhören, ihre Geschichten und Meinungen aufzuschreiben und zu beobachten, wie sie in dieser ,Zwischensituation‘ mit Fremden in ihrem Dorf fertig würden“. Eine Beschreibung, die vor allem von der Angst handelt, faßt sie zusammen.

Doch über die eigene Angst will niemand öffentlich sprechen; die zur Diskussionen erschienenen Winterfelder reagieren wieder genauso, wie Spülbeck es in ihrem Buch beschrieben hat: „Jenseits aller Unterschiede wird auf Hexenwahn, Antisemitismus und der Angst vor staatlicher Überwachung mit derselben Kommunikationsart reagiert.“ Diese Themen würden nur vorsichtig und vage angedeutet oder auch ganz verschwiegen.

So entstand, nachdem die Flüchtlinge ein paar Monate im Dorf gelebt hatten, das Gerücht, daß sie mit Drogen und Waffen handeln würden. Die zunächst offene Empörung verwandelte sich bald in „leises Gemunkel“. Die Situation war bristant, denn es ging nicht mehr um „alltägliche Schiebereien, wie man sie von den Juden gewohnt ist“. Irgendwann seien die Juden dann ganz aus der dörflichen Diskussion verschwunden.

Dieses Ergebnis wird im „Haus des Gastes“ nicht diskutiert, obwohl viele Winterfelder gut vorbereitet sind an diesem Abend: Aktenordner liegen auf den Knien, es wird kräftig geblättert, und schließlich wird Susanne Spülbeck auf einen Fehler in ihrer historischen Darstellung des Dorfes hingewiesen.

Ein zweiter Kritikpunkt ist, daß die Verschlüsselung nicht immer funktioniere: Winterfeld heißt nicht Winterfeld, und die Eigennamen im Buch sind ebenso codiert. Der Bürgereister des Dorfes hat in dem Buch einen Bekannten ausfindig gemacht, dessen guten Ruf er nun in Gefahr sieht. Er bestreitet, daß während der Bürgerversammlung, auf der über die Aufnahme der russischen Juden abgestimmt wurde, jemand gebrüllt habe, es sei doch gut, daß Hitler die Juden vergast habe.

Eine Frau aus den hinteren Reihen erhebt sich und bittet, nach vorne kommen zu dürfen. Sie darf. Wir erfahren, daß es sich um Ludmila Pevsner handelt, die 1991 als russische Jüdin von Moskau nach Erfurt kam und dort in der Jüdischen Gemeinde als Sozialarbeiterin tätig ist. Auch die Winterfelder Flüchtlinge betreut sie.

Sie steht nun mit ihrem Manuskript vor der Versammlung und verblüfft die Winterfelder mit einer schlichten Information: „Die überwiegende Zahl der Zugereisten sind keine Juden, sondern Russen und Ukrainer. Es liegt der Verdacht nahe, daß die Dokumente in ihrem Besitz nicht echt waren.“ Von den siebzig eingereisten Flüchtlingen hätten sich nur 18 in der Jüdischen Gemeinde registrieren lassen; als Jude sei lediglich einer anerkannt worden. Pevsner wirft Spülbeck vor, daß sie diese Informationen gehabt, aber nicht erwähnt habe.

Die Winterfelder reagieren erleichtert auf diesen Vortrag, der sie von dem Vorwurf befreit, antisemitisch zu sein. Doch dieser Gefühlszustand dauert nicht lange. Spülbeck erklärt, daß es für ihre Forschung nicht wichtig sei, ob es sich um tatsächliche Juden handelt oder nicht, denn für die Winterfelder Bevölkerung seien es bis jetzt Juden gewesen.

An dieser Stelle bekommt sie Unterstützung von ihrem Doktorvater Wolfgang Benz, dem Leiter des Berliner Zentrums für Antisemitismusforschung. Er erklärt den allmählich unruhig werdenden Winterfeldern, daß Antisemitimus keine Wirkung sei, die von Juden ausgehe, „sondern ein Konstrukt in uns ist, was wir unter Juden verstehen“. Und deshalb sei es unerheblich, „ob diese siebzig Leute Juden sind oder nicht.“

Benz schließt seinen Vortrag mit Lob für die Forscherin. Er sei stolz auf die Arbeit, die schon jetzt Furore gemacht habe und von ihm mit Auszeichnung bewertet wurde. Starker Applaus der Winterfelder für den Professor aus Berlin beendet den Abend.

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