Angst vor Bioterroristen: Zensur für Wissenschaftler
Die US-Behörde für Biologische Sicherheit versucht, die Veröffentlichung von Wissenschaftspublikationen über Grippeviren zu verhindern – aus Angst vor Missbrauch.
BERLIN taz | Aus Angst vor einer neuen tödlichen Biowaffe versucht die US-Regierung, die Veröffentlichung von zwei wissenschaftlichen Studien über Grippeviren zu verhindern. Die US-Behörde für biologische Sicherheit NSABB hat die Wissenschaftsmagazine Science und Nature aufgefordert, die eingereichten Publikationen nicht zu veröffentlichen.
Die Magazine müssen jetzt entscheiden, ob sie dem Zensurbegehren nachgeben sollen oder doch auf die Freiheit der Wissenschaft, zu der auch das Recht auf Publikation gehört, bestehen.
Konkret geht es um ein "Super-Virus", das von den Forschern Ron Fouchier von der Erasmus-Universität in Rotterdam, Niederlande, und Yoshihiro Kawaoka von der US-Universität von Wisconsin entwickelt worden ist. In ihren Labors haben sie ein Vogelgrippevirus H5N1 so verändert, dass es jetzt nicht nur hochgefährlich ist, sondern auch noch ganz leicht von Mensch zu Mensch übertragbar sein soll.
Diese Virusvariante hätte damit die Eigenschaften, vor denen Virologen schon seit Langem warnen, da sie das Potenzial hat, eine tödliche Pandemie auszulösen.
Finanziert wurden die Forschungen von der US-Behörde National Institutes of Health (NIH). Das Ziel war, Therapien gegen Grippeviren zu verbessern.
Damit Terroristen dieses neue Virus nicht nachbauen können, will die US-Behörde für biologische Sicherheit verhindern, dass Informationen wie etwa die veränderten Gensequenzen publiziert werden.
Doch eigentlich ist es dafür schon zu spät, denn Ron Fouchier hatte seine Ergebnisse schon im September auf einem Influenza-Kongress auf Malta vorgestellt.
Die Forderung nach einem Publikationsverbot ist auch unter Forschern umstritten. So wundert sich der New Yorker Grippeexperte Peter Palese, dass die Diskussion jetzt so heftig stattfindet. Palese hatte vor einigen Jahren den Erreger der Spanischen Grippe nachgebaut. An dieser Virusvariante starben zwischen 1918 und 1919 mehr als 20 Millionen Menschen. Er hatte seinerzeit die Ergebnisse nur eine Woche zurückgehalten, berichtet Palese.
Für den Experten ist das jetzt im Labor entwickelte Virus auch nicht so gefährlich, wie verschiedentlich behauptet wird. So seien die neuen Eigenschaften bisher nur in Tierversuchen mit Frettchen nachgewiesen worden. Für ihn "müssen" daher die Ergebnisse auch veröffentlicht werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Die Wahrheit
Der erste Schnee
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen