Angst vor Ausländerfeindlichkeit: Brand in Ludwigshafen wird Politikum
Bei den Ermittlungen zum Wohnhausbrand in Ludwigshafen gibt es einen ersten Hinweis auf Brandstiftung. Die Türkei schickt eigene Experten, um den Fall zu untersuchen.
BERLIN taz Die Bilder schockierten nicht nur in Deutschland: Mütter werfen ihre Kinder aus einem brennenden Haus in Ludwigshafen. Neun türkischstämmige Menschen sterben, 60 weitere werden verletzt. Elf Menschen lagen am Dienstag noch im Krankenhaus, drei von ihnen sollen schwerste Verletzungen erlitten haben.
Unfall oder Anschlag, das ist die Frage, die nun im Raum steht - und den Brand vom Sonntag auch zum Politikum macht. Die Türkei wollte noch am Dienstagabend einen Staatsminister und eigene Experten zur Untersuchung des Brandes nach Rheinland-Pfalz schicken. Außenminister Ali Babacan forderte, allen Hinweisen nachzugehen "und die Bestrafung der Verantwortlichen, falls es sich um ein Verbrechen handelt". Ein entsprechendes Ersuchen sei Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) übergeben worden, der sich am Dienstag in der Türkei aufhielt.
Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan, der in dieser Woche ohnehin in Deutschland ist, erwägt für Donnerstag einen Besuch in Ludwigshafen. Nach den ausländerfeindlichen Gewalttaten der Vergangenheit stelle sich die Frage, ob der Brand ein Unfall gewesen sei oder nicht, sagte Erdogan. "Wir wollen kein neues Solingen." In Solingen hatten 1993 vier Skinheads das Haus einer türkischen Familie in Flammen gesetzt und dadurch zwei Frauen und drei Mädchen umgebracht.
Die türkischsprachige Tageszeitung Hürriyet stellte am Dienstag nun die Frage zum Vorfall in Ludwigshafen, die viele in der türkischen Community umtreibt: "War es Brandstiftung?" Außerdem sprach das Blatt von einem "Verdacht auf Neonazis" - ohne dafür allerdings Belege zu nennen.
Kenan Kolat, Vorsitzender der Türkischen Gemeinde in Deutschland, der am Dienstag in Ludwigshafen war, sieht hingegen "bisher absolut keinen Anlass, von einer fremdenfeindlichen Tat auszugehen". Er vertraue darauf, dass die Polizei den Vorfall so schnell wie möglich aufkläre, sagte er der taz.
Die Sonderkommission "Danziger Platz", benannt nach dem Ort der Katastrophe, geht unterdessen ersten Hinweisen auf Brandstiftung nach. Mehrere Fernsehsender hatten ein Mädchen gezeigt, das berichtete, vor dem Brand im Hausflur einen fremden Mann gesehen zu haben. Dieser soll einen Stock angezündet und neben einen Kinderwagen geworfen haben, so das Mädchen. Türkische Zeitungen hatten zuvor von zwei jungen Zeuginnen berichtet, die einen schwarzhaarigen Deutschen gesehen haben wollen, der mit Papier und Feuerzeug einen Kinderwagen anzündete.
Ein Polizeisprecher sagte, dass die Vorwürfe bisher nicht bestätigt werden könnten. Klarheit über die Brandursache könne erst die Arbeit der Spurensicherung bringen. "Wir ermitteln in alle Richtungen", so der Sprecher. Derzeit können die Brandexperten das einsturzgefährdete Gebäude noch nicht betreten. Die Feuerwehr trug am Dienstag das Dach des Hauses mit einem Kran ab, um danach ins Innere zu kommen. WOLF SCHMIDT
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört
Verfassungsklage von ARD und ZDF
Karlsruhe muss die unbeliebte Entscheidung treffen
Kanzlerkandidat-Debatte
In der SPD ist die Hölle los