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Angst im SchwimmbadDas Schreckliche leicht gemacht

Am Fuß des Sprungturms kann man schon Angst bekommen. Aristoteles soll helfen. Der Ethikrat bietet philosophische Begleitung im Umgang mit Furcht an.

Jetzt musst du springen! Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa/picture alliance

K ürzlich war ich mit den Kindern im Schwimmbad, als ich am Fünfmeterturm den Ethikrat entdeckte. Der Ethikrat, das sind drei ältere Herren von geringer Größe, die mir gelegentlich Ratschläge in Fragen praktischer Ethik geben. Der Ethikrat trug wie üblich Anzug, aber darüber hatte er weiße Bademäntel gezogen, vermutlich als Zugeständnis an die Örtlichkeit.

„Guten Tag“, sagte ich, „geben Sie künftig Schwimmunterricht?“, denn der Rat war immer aufgeschlossen für neue Tätigkeitsfelder. „Nein“, sagte der Ethikratsvorsitzende entschieden, „wir bieten hier philosophische Begleitung im Umgang mit Furcht“, und er nickte einem der beiden anderen Ratsmitglieder zu, die in der Regel schwiegen. Das Ratsmitglied hob ein Schild in die Höhe: „Vom Umgang mit der Furcht“, stand darauf. „Erfahrene Philosophen beraten Sie vor Ort.“ „Oh“, sagte ich überrascht, „ist das ein kostenloses Angebot?“, denn in der Regel war der Ethikrat dringend auf Einnahmen angewiesen. „Natürlich nutzen wir die Notlage der Menschen nicht aus, Frau Gräff“, sagte der Ratsvorsitzende verstimmt, und ich schwieg beschämt.

Tatsächlich traf sich das mehr als glücklich für mich, denn ich war bankrott und mein Beratungsbedarf in Sachen Furcht groß. „Vielleicht geht ihr schon einmal zu den Rutschen“, sagte ich zu den Kindern, die interessiert die Schwimmnudeln betrachteten, die der Rat neben sich aufgetürmt hatte. Die Kinder gingen, und mit ihnen ging vorübergehend eine meiner Ängste, denn ich hatte ihnen gegenüber behauptet, ich würde bei Gelegenheit das erste Mal vom Fünfmeterbrett springen. Aber es blieben genügend andere. Vor Kurzen hatte ich endgültig erkannt, dass meine Furcht zu groß ist, um mich in die Unerbittlichkeit des Autoverkehrs zu wagen.

„Ich finde es demütigend, Angst vor etwas zu haben, wovor Millionen keine Angst haben“, sagte ich zum Ethikrat. „Nahezu jeder und jede scheint in der Lage, eine Autobahnauffahrt zu bewältigen, aber für mich ist es grauenhaft.“ Die beiden schweigenden Ratsmitglieder begannen, die Schwimmnudeln in farblich passende Bündel zu sortieren, aber wenigstens der Ratsvorsitzende betrachtete mich vage interessiert. „Es wurmt mich“, sagte ich, „aber ist es ein Selbstzweck, seine Furcht zu überwinden? Ich meine, in Zeiten des Klimawandels muss man ja nicht unbedingt mit dem Autofahren anfangen.“

Furchtübung auf dem Fünfmeterbrett

„Ich möchte hier auf Aristoteles verweisen“, sagte der Ratsvorsitzende, „demzufolge es bei der Angst und überhaupt bei den Erlebnissen von Lust und Unlust ein Zuviel und ein Zuwenig gibt.“ Er wurde von den zurückkehrenden Kindern unterbrochen. „Springst du jetzt?“, fragten sie, aber es war keine Frage, und sie betrachteten mich mit der Miene von Katzen, die einer Maus Mut zusprechen, denn sie kennen meine unfassbare Angst vor Sprungbrettern. Ich tat so, als hörte ich sie nicht. „Und wo zwischen zu viel und zu wenig Angst soll ich mich bitteschön ansiedeln?“, fragte ich pampig. Der Ratsvorsitzende lächelte milde.

„Das entscheiden nur Sie“, sagte er. „Aber wir laden Sie ein, sich in einer praktischen Übung mit der Furcht auseinanderzusetzen“, und er wies einladend auf das Fünfmeterbrett. „Wir haben auch eine Handreichung für Sie“, fügte er noch hinzu und gab mir ein kleines eingeschweißtes Blatt. „Das Schreckliche ist leicht zu ertragen“, las ich.

Meine Knie zitterten. Sie zitterten unmäßig. Die Kinder betrachteten mitleidig die sehr lange Treppe zum Turm. Da ergriff jemand meine Hand. Es war eines der Ratsmitglieder, die immer schwiegen. Es reichte mir eine grüne Schwimmnudel, wir stiegen auf den Sprungturm und dann sprangen wir herab, Hand in Hand, mitten ins Schreckliche.

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Friederike Gräff
Redakteurin taz nord
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