: Angst, Solidarität und Abschottung
■ Die Flüchtlinge aus Kosovo kommen nicht mehr nach Makedonien hinein. Spannungen zwischen Makedenoniens Volksgruppen wachsen
An der Grenze Makedoniens zum Kosovo ist die Anspannung zu spüren. Das makedonische Dorf Jashince liegt nur einen Steinwurf von der Grenzlinie entfernt an der Straße von Tetovo nach Priština. Auf den Hügeln der anderen Seite sind schemenhaft Gestalten zu erkennen. Dort befinden sich Artilleriepositionen der Jugoslawischen Volksarmee. Ihre Kanonen sind direkt auf das makedonische Dorf gerichtet.
Eine Gruppe von Männern aus dem Dorf hantiert an einem Handy. Sie versuchen, Verwandte im Dorf Kotline zu erreichen, das hinter dem Hügel in Kosovo liegt. Die Menschen aus den umliegenden Dörfern mußten fliehen. Jetzt, in diesem Augenblick, wird auch Kotline angegriffen. Verzweifelte Frauen sind am anderen Ende der Leitung. Die serbischen Soldaten seien nur noch 150 Meter entfernt. „Sie schießen, was sollen wir tun? Wir sind 200 Frauen und Kinder in dem Hof“, ruft eine der Frauen ins Telefon. Im Hintergrund weinen die Kinder.
Gibt es noch ein Entkommen? Wohl nicht. Selbst wenn es gelingen würde, den serbischen Soldaten zu entfliehen, die makedonischen Wachen würden die Flüchtlinge nicht mehr über die Grenze lassen. Bereits gestern wurden an einem Grenzübergang Hunderte von Flüchtlingen nach Kosovo zurückgeschickt, nachdem Makedonien die Grenzen zu Kosovo dichtgemacht hat.
Damit ist die Frage nach der politischen Position Makedoniens zum Kosovo-Konflikt aufgeworfen. Soll die Schließung der Grenze die Serben beruhigen? Bei Luftangriffen der Nato auf Jugoslawien, so fürchtet man hier, könnte die Jugoslawische Armee an Stellen wie an diesem Grenzübergang nicht nur ihre Artillerie einsetzen, sondern auch mit Truppen vorrücken. Die kleine makedonische Armee hätte dem kaum etwas entgegenzusetzen. Und die hier aufmarschierten Nato-Truppen haben dem Land erst gestern mittag mit einem Schreiben von Nato-Generalsekretär Javier Solana Garantie für seine Sicherheit gegeben.
Nicht zu übersehen ist, daß mit der Zuspitzung des Konfliktes in und um Kosovo die Spannungen zwischen der slawisch-makedonischen Mehrheit und der albanisch- makedonischen Minderheit wieder wachsen. Während die vor allem im Westen des Landes lebenden Albaner mit der bedrängten Bevölkerung im Kosovo mitfühlen und auf die Nato hoffen, sind viele slawische Makedonier gerade in den Grenzregionen mit den „serbischen Brüdern“ solidarisch.
In der Flüchtlingsfrage sind beide Lager einig
In Skopje und den südöstlichen Regionen des Landes dagegen herrscht auch unter den slawischen Makedoniern eine eher antiserbische Stimmung. Gerade die Regierungspartei – die „Innermakedonische Revolutionäre Organisation“ (VMRO) – schöpft daraus ihre Popularität. Viele Makedonier haben nicht vergessen, daß in den zwanziger und dreißiger Jahren das serbische Regime die Makedonier brutal unterdrückt hat. Sie sehen mit Sympathie nach Bulgarien – das vor wenigen Tagen 150 Panzer und Artillerie an die makedonische Armee geliefert hat.
Beide slawisch-makedonischen Lager jedoch sind sich in der Frage der Flüchtlinge einig. Sie fürchten, mit der Ankunft Tausender Kosovo-Albaner könnte sich die ethnische Zusammensetzung des Landes noch weiter zuungusten der Makedonier verändern. Schon jetzt rechnet man mit einem 35-Prozent-Anteil Albaner in dem Land. Diese Spannung begleitet schon lange die Tagespolitik. Noch im letzten Sommer schienen Ausbrüche von Gewalt möglich.
Insbesondere der US-amerikanische Botschafter Christopher Hill versuchte dem entgegenzusteuern. Die US- und die EU-Diplomaten unterstützten Gespräche zwischen den Nationalisten beider Seiten. Nach dem Wahlsieg der VMRO wurde deshalb die Albanerpartei PDSH unter Arben Xhaferi mit in die Regierung geholt.
Seither hatte sich das Verhältnis beider Seiten wieder entspannt. Mit dem Aufbau der Nato-Friedenstruppen wurde zudem sichtbar, daß die weiterexistierenden Gedankenspiele der Nationalisten beider Seiten, das Land entlang ethnischer Linien aufzuteilen, von internationaler Seite nicht zugelassen würden. Damit wurde auch eine Position für die Kosovo-Verhandlungen vorgegeben: Die Forderung der Albaner nach Unabhängigkeit wurde nicht akzeptiert.
Das Pulverfaß Südbalkan sollte trotz des Krieges im Kosovo nicht explodieren dürfen. Auch in bezug auf Albanien, Montenegro und Bosnien-Herzegowina wurde der internationale Einfluß verstärkt. In Bosnien zog der Hohe Repräsentant immer mehr Entscheidungen an sich – mit der Entscheidung über den Status von Brčko wurde allen Teilungsplänen von serbischer Seite ein Riegel vorgeschoben. Montenegro darf sich zwar nach Kroatien hin öffnen, die Wünsche der Regierung nach Unabhängigkeit aber wurden bisher ignoriert. Auch alle Forderungen nach Bildung eines großalbanischen Staates wurden bisher übergangen, Albanien erhält dafür wirtschaftliche und auch militärische Hilfe. Von Bosnien über Ungarn bis nach Makedonien sind Nato-Truppen stationiert.
Den Frauen und Kindern von Kotline hilft diese Strategie der Eindämmung jedoch nichts. Das Handy, mit dem sie noch vor wenigen Stunden erreichbar waren, antwortet nicht mehr. Erich Rathfelder, Tetova
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