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Angriffe auf Re­por­te­r*in­nenJournalismus ist kein Einzelkampf

Ann-Kathrin Leclere
Kommentar von Ann-Kathrin Leclere

Ein neuer Report zeigt, dass Jour­na­lis­t:in­nen in Deutschland immer mehr körperliche Angriffe erleben – und enger werdende Diskursräume.

Sieht aus wie Lone Wolf, ist aber Teamarbeit: Journalismus Foto: Stefan Boness/Ipon

I m Trenchcoat mit fester, bestimmter Stimme, sich allein mit Notizblock oder Kamera den Weg durch Menschenmengen bahnend, immer auf der Suche nach der besten Story – und das natürlich erfolgreich und mit Beifall vom Publikum. So wird er oft in Filmen dargestellt, der typische Reporter. Der einsame Held mit Haltung, unermüdlich, zäh, manchmal zynisch, aber immer im Dienst der Wahrheit.

So romantisch ist die Welt des Journalismus aber leider nicht (mehr). Viel zu oft werden Re­por­te­r:in­nen an ihrer Arbeit gehindert und sogar angegriffen. Die Organisation Reporter ohne Grenzen (RSF) gibt dazu seit 2015 jährlich Zahlen heraus: 89 Angriffe auf Jour­na­lis­t:in­nen wurden 2023 gezählt – doppelt so viele wie im Vorjahr, in dem es noch 41 waren. 75 davon waren körperlich: Tritte, das Bewerfen mit Gegenständen, Einschüchterung auf offener Straße.

Deutschlandweit geraten Medienschaffende in Gefahr – besonders, wenn sie über rechtsextreme oder verschwörungsideologische Versammlungen berichten. RSF nennt Berlin einen „Brennpunkt“, weil dort besonders viele Übergriffe registriert wurden. Eine weitere Auffälligkeit: Ein Großteil der Angriffe ereignete sich am Rande von Nahost-Demonstrationen. Allein 40 Prozent aller Attacken richteten sich gegen zwei Reporter, die dort regelmäßig berichten – und regelmäßig zur Zielscheibe werden.

Verändert sich gerade das Bild von Journalist:innen? „Viele Bürgerinnen und Bürger betrachten Medienschaffende mittlerweile als Feinde“, sagt Katharina Viktoria Weiß, RSF-Referentin für Deutschland. Ein Satz, der schwer wiegt – und ein gefährliches Klima beschreibt. Denn es geht nicht mehr nur um Tritte oder Wurfgeschosse.

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RSF beschreibt eine weitere, schleichendere Bedrohung: den enger werdenden Meinungskorridor, besonders seit dem 7. Oktober 2023. Journalist:innen, die über Israel und Palästina berichten, sehen sich zunehmend mit massiven Einschränkungen konfrontiert. Begriffe müssen mit Redaktionen abgestimmt werden, Kritik an der israelischen Kriegsführung werde kontrolliert oder vermieden. Palästinensische Quellen, selbst internationale Organisationen wie Amnesty International oder die Vereinten Nationen würden infrage gestellt – während Informationen des israelischen Militärs oft ungeprüft übernommen würden.

Wer berichtet, wird zunehmend als Feind gesehen. Die Öffentlichkeit wird härter, die Kommentare feindseliger. Hasskampagnen in sozialen Medien nehmen zu. Redakteure wie Nicholas Potter (taz) oder TV-Reporterinnen wie Sophia Maier sind nur zwei Beispiele für Medienschaffende, die unter massiven Online-Angriffen leiden.

Viele Jour­na­lis­t:in­nen berichten RSF inzwischen von wachsender Angst: Angst vor Bloßstellung in anderen Medien, auf Social Media, vor Doxing und gezielter Hetze. Die Folge: Manche meiden im Zweifel bestimmte Versammlungen ganz. Die Dunkelziffer ist hoch. Die Pressefreiheit bröckelt – und das in einem Land, das sich zu ihr bekennt.

Was also tun? Jour­na­lis­t:in­nen müssen im Feld besser geschützt werden, insbesondere durch die Behörden, wenn sie in gefährliche Situationen geraten. Pressefreiheit darf kein Nebenthema sein, sondern muss politisch priorisiert werden. Auch Ar­beit­ge­be­r:in­nen stehen in der Verantwortung: Sie müssen Ansprechpersonen bereitstellen, psychologische Betreuung und juristischen Beistand anbieten – und das ausdrücklich auch für freie Mitarbeitende, die durch keine Tarifverträge abgesichert sind. Ein bereits geschaffener Schutzkodex, entwickelt von Verdi und anderen 2022, muss aktiv umgesetzt und weiterentwickelt werden. Zudem braucht es umfassende Sicherheitstrainings – nicht nur für die Auslandsberichterstattung, sondern auch im Inland, wo Lo­kal­jour­na­lis­t:in­nen zunehmend ins Visier geraten.

Doch es geht nicht nur um rechtliche und organisatorische Maßnahmen. Es geht auch um Atmosphäre, um Offenheit, um Vertrauen. Viele Medienschaffende haben das Gefühl, sie könnten beim Thema Nahost nicht offen und ausgewogen über das Leid aller Seiten berichten. Solche Gefühle gehören auf den Tisch – in Redaktionskonferenzen, in informellen Gesprächen, im Austausch unter Kolleg:innen. Dafür braucht es Räume. Räume für Unsicherheit, für Reflexion, für echtes Zuhören. Denn Journalismus ist kein Einzelkampf, auch wenn er oft so inszeniert wird.

Die Figur des Lone-Wolf-Reporters war immer schon mehr Film als Realität. Es ist Zeit für einen solidarischen Journalismus, der Haltung zeigt, der sich gegenseitig schützt, der nicht nur den Mächtigen gegenüber mutig ist, sondern auch intern offen und ehrlich. Einen Journalismus, der sich seiner Rolle erinnert: die Gesellschaft zu informieren, aufzuklären, die Demokratie zu schützen. Einen Journalismus, in dem niemand Angst haben muss, seinen Job zu machen.

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Ann-Kathrin Leclere
Aus Kassel, lange Zeit in Erfurt gelebt und Kommunikationswissenschaft studiert. Dort hat sie ein Lokalmagazin gegründet. Danach Masterstudium Journalismus in Leipzig. Bis Oktober 2023 Volontärin bei der taz. Jetzt Redakteurin für Medien (& manchmal Witziges).
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6 Kommentare

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  • Der Artikel versucht ausgewogen zu sein, indem er deutlich macht, dass Journalist*innen unabhängig von ihrer tatsächlichen Positionierung Anfeindungen und Einschränkungen erleben. So werden beispielsweise Medienschaffende, die sich israelsolidarisch äußern, sowohl im Netz als auch vor Ort bedroht, während andere aufgrund einer vermeintlich pro-palästinensischen Haltung vor allem online Anfeindungen ausgesetzt sind. Allerdings bleibt unerwähnt, dass auch Journalist*innen, die irgendwie mit der pro-palästinensischen Seite identifiziert warden (vielleicht sogar aus versehen), physischer Gewalt ausgesetzt sind: So wurde der Journalist Ignacio Rosalanda bei der Berichterstattung über eine Uni-Besetzung von der Polizei niedergeschlagen – obwohl er keine politische Haltung vertreten hatte.

  • 40% alleine bei Pali-Demos?!



    Komisch, dass im Satz vorher über Schwurbler oder andere geschrieben wird, also kommt die Steigerung vom linken und Hamas-Flügel. Ist das nicht ein Widerspruch?

  • Michaela Dudley , Autorin , Journalistin/Kabarettistin

    Als direkt Betroffene begrüße ich die Thematisierung sehr. Natürlich wissen wir Zielscheiben, wie wir uns mit rechtlichen Mitteln wehren und entsprechend zurückschlagen. Was jedoch schmerzlich fehlt, ist das öffentliche Bewusstsein für die gesamtgesellschaftliche Bedrohung, die von solchen Taten ausgeht.

    Spätestens mit der Corona-Pandemie war das Potenzial der Pressefeindlichkeit deutlich zu erkennen. Während die Schwurbelnden wie ein Virus grassierten und jedwede kritische Stimme als Teil der verhassten „Lügenpresse“ diffamierten, breitete sich die antidemokratische Gewalt gefährlich aus: Drohungen, Körperverletzungen, Verfolgung auf offener Straße wie im Netz.

    Es ist daher kaum verwunderlich, dass einige Mitglieder der „Free-Palestine“-Bewegung sich nun in derselben perfiden Taktik sonnen und mit den gleichen infamen Mitteln auftreten. Wer die gebetsmühlenartigen Genozid-Vorwürfe, die auf Israel zielen, sachlich zurückweist oder den drakonischen Illiberalismus der Hamas kritisiert, gilt leider als Freiwild. So fühlen sich linke Intifadist:inen dazu berufen, mich mit abscheulich rassistischem, misogynem und queerfeindlichem Hass zu überschütten.

    Aber ich höre nicht auf.

    • @Michaela Dudley:

      Der Artikel erwähnt Sophia Maier, die eine eher israel-kritische Position vertritt und ebenfalls auf Anfeindungen stößt. Man könnte jedoch genauso sagen, dass auch diejenigen, die die Genozid-Vorwürfe gegen Israel bekräftigen und das Leid der palästinensischen Seite betonen, in gleicher Weise diffamiert und angefeindet werden.

    • @Michaela Dudley:

      "Schwurbelnden wie ein Virus grassierten"



      Menschen mit einem Krankheitserreger gleichsetzen und sich über Hass beschweren, ist das diese vielbemühte kognitive Dissonanz?

      • @Blutsbruder WinnePuh:

        Eher der Anspruch auf eine Monopolisierung des Hassens. Das Beispiel oben ist natürlich ein besonders extremer Fall, es macht die blinden Flecken dieser Debatte aber umso deutlicher: Selbstverständlich sind Drohungen und Beleidigungen gegen Journalisten vollkommen inakzeptabel – genauso wie gegen jeden Anderen. Zu einer Demokratie gehört eine demokratische Diskussionskultur und das bedeutet auch, mit Dissens respektvoll umzugehen. Diesem Anspruch muss allerdings nicht nur die breitere Öffentlichkeit, sondern auch die Medien gerecht werden – und ich habe nicht den Eindruck, dass das immer der Fall ist. Gerade in der taz – die ja als Gegenmedium gegründet wurde – würde ich mir eine kritische Reflexion über Medien, Mob und Macht wünschen. Aber vielleicht ist das ein grundlegendes Problem: in unserer egozentrischen Zeit nimmt man Probleme nur wahr, sofern man selbst davon betroffen ist – und in der Folge davon bekommt an sich berechtigte Kritik einen unangenehm larmoyanten Unterton.