Angriff auf die Energieinfrastruktur: Der Krieg und die Atomkraft
Im Streit um das Kraftwerk Saporischschja im Osten der Ukraine schafft Russland Fakten. Eine ukrainische Atomexpertin erhebt schwere Vorwürfe.

Derzeit gibt es Streit um das Atomkraftwerk. Sein rechtmäßiger Besitzer, die Ukraine, akzeptiert keine Fremdherrschaft über das Kraftwerk. Russland, unrechtmäßiger Besatzer des AKW, hat jedoch eigene Pläne. Die russische Regierung will es so schnell wie möglich an das russische Stromnetz anschließen. Und die USA wollen es unter ihre Aufsicht stellen, wohl, um sich so am Profit beteiligen zu können.
Präsident Selenski lehnt eine US-amerikanische Kontrolle des AKW allerdings ab. Der Betrieb der Anlage sei ohne die Beteiligung ukrainischer Fachkräfte und ohne Kontrolle durch den ukrainischen Staat technisch nicht möglich, sagt der Präsident. Gleichzeitig zeigte er sich offen für eine Zusammenarbeit mit den USA. Schon jetzt setzt das Kraftwerk Saporischschja Brennstäbe des Westinghouse-Konzerns ein.
Russland wiederum, das das AKW seit seinem Überfall kontrolliert, denkt nicht daran, die Kontrolle wieder abzugeben. So berichtet die ukrainische Nachrichtenagentur Unian, Russland sei dabei, nach Grundwasser für die Kühlung der Reaktoren zu bohren. Verständlich ist das. Seit der Sprengung des Kachowka-Staudammes am 6. Juni 2023 fehlt das für einen Betrieb notwendige Kühlwasser.
Ein klarer Verstoß gegen ukrainisches Recht
Die ukrainische Atomexpertin Olha Koscharna erhebt schwere Vorwürfe gegen die russischen Besatzungstruppen. Ihren Angaben zufolge haben die Besatzer ohne vorherige geologische Untersuchung mehrere Brunnen gebohrt. Dies sei ein klarer Verstoß gegen ukrainisches Recht sowie gegen internationale Normen. „Solche Maßnahmen können zu Erdrutschen führen“, zitiert Unian Koscharna. Dies stelle nicht nur ein erhebliches ökologisches Risiko dar, sondern verletze auch grundlegende Regeln der nuklearen und radiologischen Sicherheit. Darüber hinaus, so Koscharna, plane die russische Seite den Bau einer neuen Pumpstation am Ufer der Konka, einem Mündungsarm des Dnipro. Auch dieser Schritt sei ohne Genehmigung und ohne Rücksicht auf die sensiblen ökologischen Bedingungen der Region erfolgt.
Russische Truppen, so zitiert Unian den Leiter der Militärverwaltung von Nikopol, Jurij Bachno, haben nach der Besetzung das AKW in eine militärische Basis umgewandelt. Von dort aus beschieße man ukrainische Städte – insbesondere Nikopol, das direkt gegenüber dem Kraftwerk am anderen Ufer des Dnipro liegt. Die Bilanz sei erschütternd: 79 Zivilisten seien in Nikopol getötet, rund 400 verletzt worden, so Bachno. Etwa 7.000 Gebäude seien beschädigt oder zerstört worden.
Gleichzeitig ist das AKW auch selbst Ziel von Angriffen. Nach Angaben der IAEA mussten sich Mitarbeiter der IAEA, die sich auf dem Kraftwerksgelände aufhalten, Ende der vergangenen Woche in Sicherheit bringen, nachdem sie in unmittelbarer Nähe ihres Büros im Hauptverwaltungsgebäude laute Schüsse gehört hatten. Bereits in den Tagen zuvor, so die IAEA, habe ihr vor Ort präsentes Experten-Team wiederholt Explosionen und Schusswechsel in unterschiedlicher Entfernung zur Anlage gehört.
Auch um die Sicherheit der weiteren Atomkraftwerke ist es schlecht bestellt: Am 9. April hatte die IAEA acht Drohnen in der Nähe des Atomkraftwerkes Südukraine im Gebiet Mikolajiw bemerkt. Und die von einem Drohnenangriff auf die Schutzhülle des havarierten Reaktors von Tschernobyl am 14. Februar verursachten Schäden sind wohl größer als zunächst angenommen. 50 Quadratmeter der Schutzhülle seien beschädigt worden, berichtet die ukrainische Fernsehstation TSN. Die Explosion habe die äußere Hülle durchbrochen, Teile der Belüftungs- und Energieversorgungssysteme beschädigt und speziell entwickelte Technik zerstört, die für den sicheren Rückbau von Teilen des havarierten Reaktors bestimmt war.
Schutzhülle für 100 Jahre
Die 1,5 Milliarden Dollar teure Schutzhülle war über 15 Jahre mit Unterstützung von über 50 Ländern errichtet worden. Sie sollte mindestens 100 Jahre halten und einen Schutz auch vor Naturkatastrophen und Erdbeben bieten. Dass man das AKW auch vor militärischen Angriffen schützen müsse, war zum Zeitpunkt des Baus unvorstellbar.
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