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Angriff auf Polens VerfassungsgerichtParlament entmachtet Richter

Die nationalkonservative Regierungspartei forciert den Umbau des Verfassungsgerichts. Kritiker monieren einen Angriff auf die Demokratie Polens.

PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski während der Parlamentsdebatte am Dienstagabend. Foto: dpa

Warschau ap | Das polnische Parlament hat eine umstrittene Reform zur Neuordnung des Verfassungsgerichts beschlossen. Mit Mehrheit der nationalkonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit PiS votierten 235 Abgeordnete für das Gesetz, 181 dagegen. Der Abstimmung vom Mittwochabend war eine hitzige Parlamentsdebatte vorausgegangen.

Kritiker im In- und Ausland werten die Reform als einen Versuch, das Gericht handlungsunfähig zu machen und die polnische Demokratie zu untergraben. Die Regierungspartei PiS argumentierte hingegen, dass das Verfassungsgericht von „Spießgesellen“ der im Oktober abgewählten liberalen Partei Bürgerplattform kontrolliert werde.

Durch die neue Reform sollen Richter ihre Entscheidung künftig nur noch mit Zweidrittelmehrheit treffen können, statt wie bisher mit einfacher Mehrheit. Da zwei Drittel der Richterstimmen in den meisten Fällen als nicht erreichbar gelten, fiele das Gericht aus Sicht von Kritikern als Kontrollinstanz der rechtskonservativen Regierung weitgehend aus.

Zudem ist vorgesehen, dass über Fälle ein Gremium aus mindestens 13 der insgesamt 15 Verfassungsrichter befindet. Dies wäre eine Abkehr von der bisher gängigen Praxis, die eine weitaus kleinere Zahl von Richtern pro Fall möglich machte. Bürgerrechtsgruppen befürchten nun eine drastische Lähmung der Arbeit des Gerichts, das sich künftig mit viel weniger Fällen befassen könne. Schon jetzt gebe es einen Rückstau von rund 200 unbearbeiteten Fällen.

Tumultartige Szenen

Nach ihrem deutlichen Wahlsieg, der der PiS die Dominanz in beiden Parlamentskammern verschaffte, bleib das Verfassungsgericht als eine der wenigen Kontrollorgane übrig. Ehe die Regierungspartei die umstrittene Neuordnung des Gerichts vorantrieb, versuchte sie die Institution mit Vertrauten zu besetzen.

Stanislaw Piotrowicz, PiS-Abgeordneter und wichtiger Befürworter der Reformgesetze, griff während der Parlamentsdebatte die Kritiker an, die sich als Vorkämpfer der Demokratie bezeichnet hatten. „Die Verteidigung der Demokratie ist nur eine Vernebelung. Ihr verteidigt dunkle Interessen“, hielt er den oppositionellen Abgeordneten vor. Als Reaktion kam es im Plenum zu tumultartigen Szenen, Abgeordnete skandierten „Nieder mit dem Kommunismus.“

Kritiker monierten zudem die Geschwindigkeit, mit der Gesetz verabschiedet worden sei. Für eine öffentliche Debatte habe es dadurch kaum Zeit gegeben. „Eile ist ein wesentlicher Teil einer Bananenrepublik“, sagte Killion Munyama, ein aus Sambia stammender Abgeordneter der oppositionellen Bürgerplattform.

Das Reformpaket geht nun zum Senat, der es rasch billigen dürfte. Auch Präsident Andrzej Duda, der PiS nahesteht, dürfte sich hinter das Gesetz stellen.

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9 Kommentare

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  • 1G
    10236 (Profil gelöscht)
  • Gemach -

     

    Blick den polnischen Kuddelmuddel nicht so recht. Sonst wer?

     

    Anyway - short cut ->

    Der legendäre Hans Kelsen hat sich solch ein Verfassungsgericht in at. mal ausgemalt - als Gegengewicht zur mehrheitsgesettelten Regierung qua Parlament & zwar zur Wahrung der rahmengebenden Verfassung.*

    Dafür wählen Parlament/Regierung die Richter wg demokratischer Legitimation.

    kurz - Verfassungsgerichte sind Zwitter - Politik vs & VerfRecht.

     

    Auf den Punkt -> ein Kommission des schwedischen Parlaments auf Erkundung in Karlsruhe ->

    "Waas - da können vier/fünf Nasen Aushebeln - was der

    Riksdag beschlossen hat!! -

    Neje tak!"

    Will sagen -> Politik machen Parlament/Regierung -

    Ende Gelände.

     

    Heißt im Klartext aber auch - je höher das Quorum - als statt Hälfte -> 2/3 -

    Um so geringer tendenziell die Kontrolldichte via Verfassung!

    Zumal - ja eine satte Mehrheit a Parlament - sich öh genehme

    Richter wählt - wie jetzt in Polen -

    Plus - Gesetzesänderung ~> 2/3.**

    Daher die Aufregung - zu recht.

     

    (*Adenauer holte als OB Kelsen auch Deswegen an die Uni Köln - &

    Hat wahrscheinlich später mehrfach In die Tischkante gebissen -

    Als im als BK - Karlsruhe sein - Staatsfernsehen/ZDF -> arg

    zurechtstutzte;))

    ** 2/3 a Karlsruhe betrifft - wenn ichs recht erinner nur Akteneinsicht&Recht auf Aussageverweigerung)

  • Bei einer 2/3-Mehrheit werden die kleineren Parteien zur Seite geschoben. Ein demokratischer Staat muß die Rechte auch und vor allem der Minderheit garantieren. Also einfache Mehrheit!

     

    Ein rechtes Polen soll ein "Bollwerk gegen Rußland" sein??? Hört doch auf mit dem Schwarzweißdenken!

     

    Für Deutschland wird eine solche Rechtslastigkeit brenzlig. Polen, das politisch nach rechts schwenkt; Frankreich, das aus seiner wirtschaftlichen (und sekuritären) Schieflage nicht mehr herauskommt; England, das von Europa abdriftet.

     

    Hinzu kommt, daß der deutsche Wähler nicht intelligenter ist als andere.

     

    Prost Neujahr 2016!

  • 1G
    19412 (Profil gelöscht)

    Warum haben eigentlich alle etwas gegen die Beschlüsse mit 2/3-Mehrheit und warum soll die nicht erreichbar sein? > siehe BVergG > "In einigen besonderen Verfahren, das heißt solchen, die besonders eingriffsintensiv sind, bedarf es indes einer qualifizierten Zweidrittelmehrheit" (also auch in D teilweise möglich)

     

    Alle Gesetze, Verordnungen und Regeln sind interprätierbar - genau das machen Verfassungsrichter am laufenden Band. Eine einfache Mehrheit kann man auch als Zufallsergebnis einstufen (hätte mit auch nur einem anderen Richter auch völlig anders laufen können).

     

    Und warum will niemand akzeptieren, dass Urteile mir 2/3-Mehrheit auf jeden fall eindeutiger sind? Ist dass nicht bei einem Verfassungsgericht grundsätzlich sinnvoll? Das hat doch nichts mit "lahmlegen" zu tun. Wenn die jetzige Anzahl der Richter nicht ausreicht weil immer 13 beteiligt sein müssen, kann man falls notwendig insgesamt die Anzahl der Richter erhöhen und das Thema ist gegessen.

  • Wo man hin schaut gibt es einen Rechtsruck...

     

    Wo bleiben die Linken Ideale?

    • 1G
      10236 (Profil gelöscht)
      @Justin Teim:

      "Wo bleiben die Linken Ideale?"

       

      Die wurden in Polen von PiS gekappert. 500 Zloty (>220€ KKP) Kindergeld pro Kind und eine Form Elterngeld sind gewaltige Wahlargumente. Da sind anscheinend auch gebildeten Menschen die schrillen Töne egal. PO (Tusk & Co) hat anscheinend zu viel Neoliberalismus verschrieben.

    • @Justin Teim:

      Es ist mir ganz neu, dass eine starke Judikative ein linkes Ideal sein soll.

  • 4G
    4845 (Profil gelöscht)

    Damit wird Regierung allerdings jeglichen Rückhalt in der Bevölkerung verlieren und dann wird die PiS nicht mehr lange im Amt bleiben...

  • … Hauptsache, Polen bleibt standhaftes NATO-Bollwerk auf dem Vorposten gegen Russland.