Angela Merkel in Warschau: Freundliches Winken aus Polen
Heute wird die Kanzlerin Polen besuchen. Bisher hat sie den dortigen Abbau der Demokratie nicht kommentiert. Und Polens Regierung sucht ihre Nähe.
Einfach wird das nicht. Die Skepsis ist groß gegenüber den Nationalpopulisten, die innerhalb weniger Monate die Gewaltenteilung in Polen aufhoben, das Verfassungsgericht lähmten und die Pressefreiheit erheblich einschränkten. Zudem wird Kaczyński nicht müde, immer wieder kräftig gegen Deutschland und Russland auszuteilen. So diffamierte er sein eigenes Land, als es noch von dem liberalkonservativen Donald Tusk regiert wurde, als „russisch-deutsches Kondominium“.
Nun wirft er Angela Merkel schon seit Monaten vor, an den vielen Flüchtlingen in Europa „schuld“ zu sein, an der kritischen Berichterstattung deutscher Journalisten über das PiS-Regime und sogar an der möglichen Amtsverlängerung der EU-Ratspräsidentschaft von Donald Tusk.
Doch der Widerstand im In- und Ausland wächst. Polens Regierungschefin und Präsident genießen als Marionetten von Kaczyńskis Gnaden kaum Autorität. Und auch Kaczyński selbst wird als „Herr Vorsitzender“ ohne Regierungsverantwortung immer öfter Ziel von Hohn und Spott. Zwar würde Polens Landbevölkerung, deren Lebensstandard sich durch die großzügig bemessene Familien- und Sozialbeihilfe der PiS erheblich verbessert hat, bei den nächsten Wahlen wieder für die PiS stimmen.
Doch wenn in den USA und dann auch in Europa Zinsen und Inflation wieder steigen, könnten die Wähler unzufrieden werden und die Regierung könnte durch den wachsenden Schuldendienst ihren Handlungsspielraum einbüßen. Wenn dann noch die EU das Budget umschichten sollte und Polen nicht mehr größter Nettoempfänger von EU-Beihilfen wäre, könnte die Situation für Polens aktuelle Regierung denkbar schwierig werden.
Bleibt nur noch Deutschland übrig?
Auf den Bündnispartner USA ist seit der Wahl des Republikaners Donald Trump kein Verlass mehr. Die Briten scheiden demnächst aus der EU aus. Mit den Franzosen hat es sich Polen durch die kurzfristig stornierte Bestellung von Armeetransporthubschraubern in Milliardenhöhe erst einmal verscherzt. Die PiS-Regierung hat durch den massiven Demokratieabbau im Innern und ihr berserkerhaftes Auftreten nach außen hin ihre Glaubwürdigkeit als verlässlicher Partner verloren. Die Europäische Kommission initiierte schon vor einem Jahr ein Rechtsstaatsverfahren gegen Polen.
Kaczyński lachte zwar darüber, doch nach dem Brexit wird Polens Regierung in der EU nur noch auf Victor Orbáns Ungarn und ein paar Gelegenheitsverbündete zählen können. Die rechtspopulistische Fraktion der „Europäischen Konservativen und Reformer“ im Europäischen Parlament wird nach dem Ausscheiden der britischen Tories in die Marginalität abrutschen.
So sind seit einigen Wochen wieder ganz andere Töne aus der engeren Umgebung Kaczyńskis zu hören. Von „enger Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Polen“ ist da die Rede, sogar von einer „deutsch-polnischen Führungsrolle in der zukünftigen EU“. Außenminister Witold Waszczykowski erklärte im Staatsfernsehen, dass die deutsche Bundeskanzlerin bei ihrem Besuch in Warschau davon überzeugt werden soll, dass „das Leben in der EU geregelt“ werden müsse. „Wir wollen, dass die EU fortbesteht, und hier haben wir viele Ideen“, sagt Waszczykowski.
Wieder andere bauen auf die „Realpolitik der Kanzlerin“, die anders als der SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz den Demokratieabbau bislang nicht offen kritisierte. Positiv gewertet wird von Kaczyński-Getreuen auch, dass Merkel in der Flüchtlingspolitik angeblich zurückrudere. Wenn nun in Frankreich Marine Le Pen die Wahlen gewänne und Frankreich als nächstes aus der EU austräte, bleibe Deutschland nur noch Polen als Partner in der EU.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann