Angehörige von RAF-Opfern: „Mein Interesse ist die Aufklärung“
Patrick von Braunmühls Vater wurde 1986 von der RAF ermordet. Was er von Daniela Klette und den anderen ehemaligen RAF-Terroristen erwartet.
taz: Herr von Braunmühl, Ihr Vater wurde 1986 von RAF-Terroristen ermordet. Daniela Klette wohnte jahrelang nur wenige Hundert Meter von Ihrem Arbeitsplatz in Kreuzberg entfernt. Sie könnten schon mit Klette an der Ampel gestanden haben. Wie fühlt sich das an?
Ja, das fühlt sich schon komisch an. Wobei ich die Phantasie, ich könnte dem Mörder oder der Mörderin meines Vaters im Café gegenüber sitzen oder auf der Straße begegnen, schon früher hatte. Diese Phantasie hat sich jetzt auf seltsame Art und Weise tatsächlich bestätigt.
Was erwarten Sie jetzt von Klette, aber auch von Burkhard Garweg und Ernst-Volker Staub, die noch flüchtig sind?
Mein Interesse ist die Aufklärung. Damit meine ich nicht nur, dass ich unbedingt wissen muss, wer meinen Vater erschossen hat, sondern auch die Begleitumstände. Wer war in dieser dritten Generation? Wie hat sie sich entwickelt? Wie hat sie ihre Opfer ausgesucht? Es gibt da viele offene Fragen und die Aufklärung kommt mir insgesamt zu kurz in der Debatte. Teilweise auch bei den Behörden. Dass die Behörden die Fahndungsfotos nicht mit Bildern im Internet abgeglichen haben, finde ich schon erstaunlich. Meine Hoffnung wäre jetzt, dass der bevorstehende Prozess zu mehr Erkenntnissen über die dritte Generation der RAF führt.
Sie finden also den Aufwand gerechtfertigt, der betrieben wird, um die RAF-Rentner zu fassen?
Ja. Weil ich glaube, dass es auch für das Rechtsgefühl in der Bevölkerung nicht gut ist, dass Terroristen, die bekannt sind, einfach ein normales Leben in dieser Gesellschaft führen können. Sie werden ja auch nicht nur wegen der politischen Straftaten gesucht, sondern wegen gewöhnlicher krimineller Taten. Die wahrscheinlichste Erklärung für die Waffenfunde in Kreuzberg ist, dass diese Waffen in den letzten Jahrzehnten zur Geldbeschaffung genutzt wurden. Um damit das Leben im Untergrund zu finanzieren.
Sie haben 1998 schon mal mit der taz gesprochen. Damals sagten Sie, dass der Staat selbstkritisch umgehen sollte mit seinem Vorgehen gegen die RAF. Hat diese Selbstkritik seitdem stattgefunden?
Aus meiner Sicht zu wenig. Da gab es unterschiedliche Strömungen. Aber für mich gehört es zur Aufarbeitung, dass man schaut: Wo haben vielleicht auch staatliche Institutionen dazu beigetragen, eine Radikalisierung von Terroristen und deren Unterstützern eher zu befördern als abzumildern?
Haben Sie den Eindruck, das läuft jetzt besser?
Ich habe das Gefühl, dass es in der öffentlichen Diskussion überhaupt keine Rolle mehr spielt. Wegen der Verhaftung gibt es jetzt wieder eine enorme öffentliche Aufmerksamkeit. Aber das ist sehr zyklisch. Im allgemeinen spielt die Aufarbeitung der RAF-Geschichte kaum noch eine Rolle. Dazu gehört auch die Frage, welche Fehler vielleicht in der Ermittlungsarbeit gemacht wurden.
Sehen Sie Fehler in den Ermittlungen zum Mord Ihres Vaters?
Jg. 1967, arbeitet als politischer Interessensvertreter der Bundesdruckerei in Berlin-Kreuzberg. Sein Vater, Gerold von Braunmühl, ein Spitzenbeamter im Auswärtigen Amt unter Minister Hans-Dietrich Genscher, wurde 1986 von der RAF vor seinem Haus in Bonn ermordet. 1995 besuchte er mit zwei Brüdern seines Vaters die frühere RAF-Terroristin Birgit Hogefeld für ein Gespräch im Gefängnis.
Im Fall meines Vaters ist es so, dass die Ermittlungen zu keinen konkreten Erkenntnissen geführt haben. Das liegt unter anderem daran, dass die dritte Generation der RAF kaum noch Spuren hinterlassen hat. Das staatliche Interesse, den Fall heute noch aufzuklären, scheint mir eher begrenzt zu sein.
Nach der Ermordung Ihres Vaters haben seine Brüder, Ihre Onkel, sich in der taz direkt an die RAF-Mitglieder gewandt. Das wurde damals scharf kritisiert vom Generalbundesanwalt, weil man mit Terroristen nicht kommunizieren dürfe. Hat dieser Brief etwas bewirkt?
Es gab durchaus Politiker, die das nicht kritisiert haben, sondern die das sehr befürwortet und gelobt haben. Es gab sogar den Gustav-Heinemann-Bürgerpreis dafür. Und es gab eine große Leserbrief-Diskussion, gerade in der taz. Der offene Brief hat eine sinnvolle und notwendige Diskussion ausgelöst, gerade auch im linken Spektrum und in der Sympathisanten-Szene. Deswegen finde ich das auch nach wie vor richtig. Denn viele Sympathisanten sahen es ja damals so: wenn die RAF jemanden ermordet, dann wird der schon Dreck am Stecken gehabt haben. So ähnlich klang das ja auch in dem Bekennerschreiben an. Für mich ist das nach wie vor absurd und ein großes Thema.
Ihr Vater ist als Vertreter des Staates ermordet worden. Sie sind selbst wieder in den sichtbaren Staatsdienst gegangen, hatten Sie nie Furcht, selbst zum Ziel von Gewalt zu werden?
Ich bin nicht im Staatsdienst, sondern arbeite für ein Unternehmen, das dem Staat gehört. Furcht hatte ich auch deshalb nicht, weil die RAF 1998 ihre Auflösung erklärt hat. Aber das Gefühl, für das, was man mit seiner Arbeit erreichen will, von anderen angegriffen zu werden, das ist schon hart. Bei meinem Vater hat mich das fassungslos gemacht. Ich wusste, warum er in den Auswärtigen Dienst gegangen ist und dass er sich da für Völkerverständigung, für Frieden, für Versöhnung eingesetzt hat. Am Ende hat er dafür mit dem Leben bezahlt.
Vertreter der liberalen Demokratie werden heute vermehrt angegriffen. Könnte es da irgendwann zu physischer Gewalt kommen?
Ja, ich fürchte, das ist denkbar. Wir haben in den letzten Jahren bereits eine Radikalisierung bis hin zu terroristischen Morden gesehen, wenn auch eher von rechts. Auch beim NSU gab es durchaus Parallelen zur RAF. Radikalisierung ist eine reale Gefahr, sowohl von der linken als auch von der rechten Seite.
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