Aneignung: Die Stadt als Hindernis
136 Stufen das Dockland-Gebäude hoch: Beim ersten Hamburger Urbanathlon zeigte sich, wie weit der deutsche Wettbewerb vom französischen Vorbild entfernt ist.
Über 2.000 Athleten traten am Samstag zum ersten "Urbanathlon" in Hamburg an, eine Art Hindernislauf durch die Stadt. Start war um 15.30 Uhr vor den Fischauktionshallen, nach gerade mal acht Minuten waren die beiden Führenden, Knut Höhler und Patrick Raabe, bei der Treppe am Dockland-Gebäude im Fischereihafen. 136 Stufen hoch und 136 runter. "Da ging mein Puls in den Maximalbereich", sagte Raabe, ein Triathlet. Bei Maximalpuls schlägt sein Herz 210-mal pro Minute. Im hinteren Teil des Feldes zogen sich manche mit der Hand am Geländer nach oben und bekamen trotzdem einen roten Kopf.
Der Urbanathlon ist eine der vielen Sportveranstaltungen, die von "Parkour" inspiriert ist, einer kreativen Art und Weise, mit der französische Jugendliche vor 20 Jahren begannen, sich die Stadt anzueignen: über Parkbänke springen, auf Geländern balancieren, an Hausfassaden entlanglaufen, über Poller grätschen, solche Sachen. Die Strecke in Hamburg war zehn Kilometer lang mit zwölf mehr oder weniger schweren Hindernissen. Dass von Hindernissen überhaupt gesprochen wurde, zeigt, dass Urbanathlon eine deutsche Variante von Parkour ist. Der Witz bei Parkour war ja eben, mit Hindernissen spielerisch umzugehen und sie nicht mehr als solche zu sehen.
In Hamburg standen viele Zuschauer bei der Halfpipe, von der ein Seil herunterhing. Manche der Sportler rannten, das Seil schnöde verachtend, die Halfpipe hoch, sprangen ab, kurz bevor es senkrecht wird, und zogen sich mit den Armen nach oben. Andere hangelten sich am Seil hoch. Hatte was von Geländeübung bei der Bundeswehr.
An der Halfpipe holte sich Knut Höhler, der es ohne Seil machte, den entscheidenden Vorsprung vor Raabe, den der "nicht mehr aufholen konnte". Höhler brauchte 35:01 Minuten, Raabe neun Sekunden mehr. An der Halfpipe hingen auch mal zwei an einem Seil. Es kam zu Staus unter denen, die das Hindernis per Seil bewältigen wollten, und zu Kooperationen zwischen denen, die es hochgeschafft hatten und denen, die immer wieder abrutschten, eine Hand reichten. Katharina Josenhans, die führende Frau und in 43:37 Minuten die spätere Siegerin, zeigte sich im Umgang mit dem Seil besonders geschickt.
Dann folgte noch der Autostau, bei dem es sich erwies, dass beim Urbanathlon auch noch andere als rein sportliche Aspekte eine Rolle spielen. Der eine oder andere Teilnehmer gönnte sich beim Überqueren der Fahrzeuge, einmal auf dem Dach angekommen, die Zeit, noch einmal hochzuspringen und eine schöne Delle ins Dach des Fahrzeugs zu machen.
Veranstaltet wurde der Urbanathlon vom Magazin Mens Health, Rodale-Motor-Presse Verlag, deutscher Sitz in Stuttgart, auf dessen Titel gerne Männer über 40 abgebildet sind, die körperlich so in Schuss sind, dass 25-Jährige blass werden müssten. Dass ein Fitness-Magazin eine Sportveranstaltungen macht, geht in Ordnung, das öffentlich-rechtliche Fernsehen veranstaltet schließlich auch Boxkämpfe.
Für Zuschauer war vor allem die Streckenführung am Hafen entlang prima. Sie konnten vor den Restaurants, Lokalen und Buden sitzen, die es dort gibt, kalte, perlende Getränke zu sich nehmen und Krabben. Unter den Zuschauern war auch ein stark übergewichtiger Herr, der den Athleten pausenlos den Rauch seiner Zigarette ins schweißnasse Gesicht blies.
Der zweitplatzierte Raabe aus Bargteheide fand die Halfpipe "hart", den Wettkampf "genial" und würde es gerne wieder machen. Sein nächster Wettkampf ist der Stadtlauf in Bad Oldesloe. Kein Urbanathlon.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste