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Andreas SpeitDer rechte RandWarum eine KZ-Sekretärin kein Schuldgefühl hat

Foto: Jungsfoto: dpa

Andreas Speitarbeitet als freier Jour­nalist und Autor über die rechte Szene nicht nur in Norddeutschland.

Kurz vor Beginn des Verhandlungstages sind die Stuhlreihen noch leer. Und auch nach dem Beginn des Verhandlungstages sind die Reihen in dem provisorischen Saal der 3. Großen Jugendkammer am Landgericht Itzehoe kaum besetzt. Am 35. Tag des Gerichtsverfahrens gegen Irmgard Furchner wegen der Beihilfe zum Mord an mehr als 11.000 Menschen im KZ Stutthof sind nur wenige Medienvertretende und Zuschauende anwesend. Der Prozess um die ehemalige Sekretärin des KZ-Lagerkommandanten Paul Werner Hoppe scheint an öffentlicher Relevanz verloren zu haben.

Der Krieg in der Ukraine und die Folgen in der Bundesrepublik verdrängen offenbar die Verbrechen von vor über 77 Jahren. Aber auch eine schon länger befürchtete Verdrängung des Nationalsozialismus könnte sich auswirken. Nach den erstrittenen Verfahren gegen die Tä­te­r*in­nen vor deutschen Gerichten in der 50er-Jahren und dem erkämpften Gedenken an die Morde ab den 60er-Jahren macht sich offenbar eine selbstgerechte Routine der gesellschaftlichen Aufarbeitung und staatlichen Abgeklärtheit breit. In ihr klingt auch immer ein „Genug ist genug“ mit und ein „Muss man diese alten Leute noch vor Gericht ziehen?“. Ganz so, als sei das Vergangene irgendwann doch vergangen.

Am 35. Verhandlungstag ist die Geschichte aber erneut Gegenwart – bei der KZ-Sekretärin und den KZ-Überlebenden. Mit gedeckter roter Mütze und im ebenso gedeckt roten Mantel sitzt die 97-Jährige im Rollstuhl vor der Anklagebank, fühlt sich unschuldig und zu unrecht angeklagt. Sie trage keine persönliche Schuld, ließ sie zum Prozessbeginn im Oktober vergangenen Jahres ihren Verteidiger vortragen.

In dem KZ, das zum Vernichtungslager wurde, will sie von der Ermordung der Insassen durch Verhungern, Erschießen, Abspritzen und Vergasen nichts gesehen und gehört haben. Beim Verlesen von Aussagen zweier Überlebender durch den Richter am 35. Tag ist wieder keine sichtbare Regung zu sehen. Kurz, aber eindringlich, hatte Rita Pollack in Ohio vor Ermittelnden ausgesagt, wie sie mit ihrer Mutter und Schwestern am 29. Juni 1944 von Auschwitz nach Stutthof kam, hatte beschrieben, wie Josef Mengele die Frauen nach den Kategorien „arbeitsfähig“ und „arbeitsunfähig“ selektierte, dass sie als unfähig schon ausgemacht gewesen war und nur nach Zuruf einer Schwester, die bei den „Arbeitsfähigen“ stand, schnell unbemerkt zu ihnen lief. Über das KZ und die Allgegenwärtigkeit des Todes hatte sie zuvor nicht ausgesagt.

Von der Ermordung der Insassen will sie nichts gesehen und gehört haben

Doch von all dem will Furchner nichts mitbekommen haben. Bei einer Inaugenscheinnahme am 4. November hatten Richter, Verteidigung, Nebenklagende und Sachverständige in der heutigen Gedenkstätte überprüfen wollen, welche Sicht die Angeklagte von ihren Arbeitsplatz in der Kommandantur auf das KZ hatte. Die Verteidiger Wolf Molkentin und Niklas Weber zweifeln die Darlegung des Sachverständigen Stefan Hördler an, nach der ihre Mandantin freie Sicht gehabt habe. Sie halten ihm zudem vor, sich zu einem früheren Zeitpunkt auf eine Position festgelegt zu haben. Sollte die Verteidigung einen Befangenheitsantrag gegen den Historiker stellen, dürfte die geplante Urteilsverkündung kurz vor Weihnachten nicht erfolgen.

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