Andreas Speit über unterschätzte Reichsbürgerinnen: Gefährliche Stereotypen
Radikal, militant, reichsideologisch und weiblich – das ist keine Ausnahme. Mit dem Prozess vor dem Amtsgericht Herzberg rücken erstmals Reichsbürgerinnen in den Fokus der Öffentlichkeit. Angeklagt sind eine Mutter und ihre Tochter wegen gefährlicher Körperverletzung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. Um sie überhaupt anzuklagen, musste die Polizei die Frauen einen Tag vor dem Prozess vorsorglich in Gewahrsam nehmen. Im Mai hatten die Frauen es noch nicht einmal für nötig erachtet, beim Amtsgericht zu erscheinen.
Das war keine Überraschung und zeigt, dass die Frauen Gerichte und Staatsbeamte nicht anerkennen. Bislang dominieren Männer der Bewegung die Berichterstattung – der Rechtsextremist und Holocaustleugner Horst Mahler etwa oder der „König“ des „Königreichs Deutschland“ und wegen Untreue verurteilte Peter Fitzek. Eine kleinere Erhebung in Brandenburg, basierend auf polizeibekannten 121 ReichsbürgerInnen ergab, dass dort zu 80 Prozent Männern Reichsideologien anhängen und ausleben. Aber das ist kein Grund, die Reichsbürgerinnen auszublenden, denn diese Frauen verinnerlichen die Ideologie im selben Maße, treiben sie voran und leben sie.
Für Reichsbürgerinnen gilt Ähnliches wie für Rechtsextremistinnen. Seit Jahren mahnt die Forschung an, dass Frauen und Mädchen politisch als weniger radikal und konsequent gelten. Hartnäckig hält sich das Klischee, Frauen seien bloß Liebes-Anhängsel ihrer radikalen Männer oder Freunde. Geschickt nutzen sie das zum Selbstschutz: Im NSU-Verfahren möchte die Hauptbeschuldigte Beate Zschäpe ihre Rolle bei Morden, Bombenanschlägen und Banküberfällen genau so realativieren: Nur aus Liebe sei sie von ihren Uwes nicht losgekommen.
Die Debatten der Rechtsextremismusforschung über Gender müssen in der Diskussion zu Reichsbürgern ihre Entsprechung finden. Reichsbürgerinnen, so unterschiedlich ihre Biografien auch seien, sind keine unpolitischen Mitläuferinnen. Die mutmaßliche Säureattacke auf den Polizisten offenbar die Gefahr einer Ausblendung.
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