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Andreas Speit Der rechte RandWie Rechtsextreme untertauchen

Gegen elf Rechtsextreme bestehen in Hamburg offene Haftbefehle – Tendenz steigend. Das hat eine Kleine Anfrage der linken Bürgerschaftsabgeordneten Cansu Özdemir ergeben, die beim Hamburger Senat auch gleich nachfragte, ob die Gesuchten bewaffnet sein könnten. Die Antwort: Eine Waffenbesitzerlaubnis haben die Personen nicht. Doch das muss in diesem Milieu nichts heißen.„Die steigende Zahl offener Haftbefehle gegen Nazis zeigt die alltägliche Bedrohung, die von rechter Organisation ausgeht“, sagt Özdemir.

Die Zahl der gesuchten Nazis ist, laut Senat, in den vergangenen Jahren gestiegen. Im Jahr 2021 suchte die Polizei acht Rechtsextreme mit elf Haftbefehlen, im Jahr 2022 zehn Verdächtige mit zwölf Befehlen und im Jahr 2023 waren es schon elf Rechtsextreme mit insgesamt vierzehn Haftbefehlen. Die Angaben des Senats müssen aber nicht unbedingt den aktuellen Zahlen entsprechen. Denn der Senat konnte Anfang April nur Daten bis zum 30. September 2023 vorlegen. Özdemir findet das mehr als bedenklich. Der 30. September sowie der 1. April sind die Stichtage, an denen die Länder ihre Zahlen dem Bundeskriminalamt (BKA) übermitteln. Für den Zeitraum dazwischen kann die Innenbehörde nicht angeben, ob nicht noch weitere Haftbefehle eröffnet wurden oder ob inzwischen bereits Gesuchte verhaftet wurden. „Wenn die Behörde nicht sagen kann, wie viele Neonazis derzeit tatsächlich mit offenem Haftbefehl gesucht werden, wird die Gefahr von rechts offensichtlich unterschätzt“, sagt Özdemir.

Zu den offenen Haftbefehlen führen nicht immer nur politisch motivierte Straftaten. Klar, Rechtsextreme verüben natürlich auch andere Straftaten. Manche Straftaten sind aber auch nicht immer ganz klar von der Einstellung zu trennen: etwa, wenn Nazis ihre Beziehungspartnerinnen töten, also Frauen, die sich emanzipieren, sich trennten. In der Antwort des Senats ist von insgesamt drei Haftbefehlen wegen Gewaltdelikten die Rede.

Foto: Jungsfoto: dpa

Andreas Speit arbeitet als freier Jour­nalist und Autor über die rechte Szene nicht nur in Norddeutschland.

Einige der Haftbefehle bestehen bereits seit Jahren. Eine der Personen verortet die Innenbehörde im Ausland. Dass Nazis abtauchen und sich verstecken können, deutet darauf hin, dass sie bestehende Netzwerke haben, die ihnen ein illegales Leben ermöglichen und sie tragen können.

Wenn die Behörden ausblenden, dass diese Netzwerke existieren, kann das fatale Folgen haben: Bis zur Selbstenttarnung des NSU dachte das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), dass sich in der Szene keine „wirkungsvolle Unterstützerszene“ entwickeln könne. Das ergibt die Studie „VS – nur für den Dienstgebrauch“, die das BfV 2004 veröffentlichte.

MancheStraftaten sind nicht ganz klar von der Einstellung zu trennen

Bis heute ist das NSU-Netzwerk nicht vollständig enttarnt – auch nicht in Hamburg. Vielleicht halfen die erfahrenden Kader von damals auch den nun Gesuchten unterzutauchen? Unterstützten sie zuvor den NSU? Özdemir fordert ein stärkeres Handeln. „Neonazis müssen entschieden bekämpft werden“, sagt die Abgeordnete und: Dazu gehört auch die konsequente Vollstreckung offener Haftbefehle.“ Die Sicherheitsbehörden müssten den Fahndungsdruck erhöhen.

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