Andreas Speit Der rechte Rand: Wie sich die AfD mal wieder als Opfer inszeniert
Seit dem Geheimtreffen von AfD- und CDU-Mitgliedern in Potsdam offenbart sich mal wieder die übliche Rhetorik der AfD: einerseits Aussagen einzuräumen, die nicht auszuräumen sind, und andererseits Argumentationen zu verharmlosen. Bei dem Treffen im November sprach Martin Sellner, Mitinitiatior der rechtsextremen Identitären Bewegung über „Remigration“ – gemeint ist die massenweise Deportation, etwa von Menschen mit Migrationsgeschichte. Seit das bekannt wurde, sind bundesweit Hunderttausende auf die Straße gegangen.
Die Debatte, die in der AfD jetzt geführt wird, offenbart Ambivalenz. Während die einen von der Defensive in die Offensive kommen wollen und offen „Remigration“ fordern, versuchen die anderen zu relativieren.
Zu letzteren gehört Bernd Baumann. Im Interview mit dem ZDF versuchte der parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Bundestagsfraktion aus Hamburg, die Deportationsvorstellungen zu relativieren. „Wir stehen zu unserem Plan für eine Remigration von Menschen“, so Baumann. Doch eines möchte er nicht: dass von „Deportation“ gesprochen werde. Die am Wochenende stattgefundenen bundesweiten Demonstrationen bezeichnete er als „Kampagne“.
Ganz anders die AfD-Fraktionen in Brandenburg und Sachsen-Anhalt. Sie stellten jeweils einen Antrag mit dem Titel „Remigrationsoffensive jetzt!“. Auch die Vorsitzenden der ostdeutschen AfD-Fraktionen gingen zur Attacke über. Sie betonten in einer gemeinsamen Erklärung: „Remigration ist das Gebot der Stunde. Die Sozialmigration nach Deutschland muss beendet und rückabgewickelt werden.“
Der Hamburger AfD-Bürgerschaftsfraktionschef Dirk Nockemann gehört zu den Verharmlosern. Er erklärte am Dienstag, die Demonstrationen und die AfD-Verbotsdebatte seien eine „Schmutzkampagne“. Trotzdem setze die Hamburger AfD bei der „Migrationspolitik“ weiterhin auf „Vernunft statt Ideologie“. Das Wort „Remigration“ vermied Nockemann. Er musste es auch gar nicht sagen. Das übernahmen andere für ihn. Zum Beispiel der Hamburger Kandidat der AfD für das Europäische Parlament, Michael Schumann. Er forderte, dass der Flugzeugbauer Airbus Pläne für eine „Remigrationsflotte“ vorlegen solle. Die „Rückführung“ sei nötig, um die „europäische Völkerfamilie, das deutsche Volk“ zu schützen, so der Mitarbeiter der Fraktion.
Ähnliche Töne wie Nockemann schlug Stefan Marzischewski an. Der AfD-Fraktionschef in Hannover sprach von einer „exzessiven Diffamierungskampagne“. Und der wirtschaftspolitische Sprecher Omid Najafi sagte: „Es spielt selbstverständlich keine Rolle, wo jemand geboren wurde.“ Er widerspricht so mehr oder minder dem innenpolitischen Sprecher Stephan Bothe, der Geflüchtete und Eingewanderte als „Sozialmigranten“ und „Messerstecher“ bezeichnet und die Ausreise und Abschiebung befürwortet. Auf Instagram behauptet Bothe, die meisten Migrant:innen kämen wegen der Sozialleistungen nach Deutschland. Hashtag #Remigration. Der Post ist aus dem November. Er belegt, dass das Konzept der „Remigration“ schon lange vor dem Potsdamer Treffen zu den Positionen der AfD gehörte.
In Schleswig-Holstein teilt die AfD zwar die Idee der Rückführung. Ihr Landesparteivorsitzender Kurt Kleinschmidt sprach am vergangenen Freitag jedoch von „Hysterie, Lügen und Panikmachen“, das „kleine Wort ‚Remigration‘“ werde aufgebauscht. Bereits Anfang Januar forderte der Landesverband „Migrationswende und Remigration jetzt“.
Diese Idee ist im AfD-Kontext aber noch älter. In seinem Buch „Kontrakultur“ schrieb der Identitäre Mario Müller, der im November auch auf dem Treffen in Potsdam sprach, bereits 2017, dass die einzige Lösung des „demographischen Krieges“ die „Remigration“ sei.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen