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Strategien gegen brennende Betten

Der österreichische Musiker Andreas Spechtl liefert auf seinem theatralischen neuen Soloalbum, „Strategies“, ein bestürzend eindringliches Gegenwartsdrama

Der welt­reisende, weltweise Musiker Andreas Spechtl Foto: Simon Hegenberg

Von Kristof Schreuf

Der österreichische Musiker Andreas Spechtl hat mit Mitte 30 bereits so viel veröffentlicht, wie manch ein Kollege in einem ganzen Künstlerleben. Nach fünf teils gefeierten Alben mit seiner Band Ja, Panik bekam der Wahlberliner Lust, sich auch jenseits der Bandaktivitäten umzuschauen. Seitdem nimmt er unter anderem als Orchesterleiter Musik mit Christiane Rösinger auf, findet als Deus ex Machina mit dem Berliner Labelbetreiber (Staatsakt) und Sänger Maurice Summen für dessen Projekte kompositorische Lösungen, arrangiert und textet Musik für Theaterprojekte.

Spechtl zieht aber nicht nur künstlerisch Kreise, er kommt auch in der Welt herum. Dabei hat er mehr vor, als im Kopf längst fertig gestellte Stücke an exotischen Locations den letzten Schliff zu geben. Stattdessen traf er andere MusikerInnen, etwa im Iran. Dort tauschte er die Gitarre gegen Synthesizer, Klavier und Schlagzeug. Der Songwriter Spechtl, der bei Ja, Panik in der Pflicht steht, zu liefern, verwandelte sich in der Ferne in einen Weltreisenden, der ambitionierte Klanglandschaften mit Instrumenten malt. So entstand 2017 das Album „Thinking about tomorrow and how to build it“.

Sein neues Album, „Strategies“, nahm den Anfang wiederum im mexikanischen Santi­ago de Querétaro. Gleich mit dem Auftakt, „Openings“, zieht Spechtl eine Zwischenbilanz. Hinter ihm, singt er auf Englisch, liegen wenig erzählte und kaum noch erinnerte „Verwandlungen, Unsicherheiten und Release-Termine“. Die Musik dazu liefert nicht weniger als ein haarscharfes Porträt des 21. Jahrhunderts, das ähnlich auch Alben etwa von Malakoff Kowalski oder von Talk Talk zeichnen.

Im zweiten Teil von „Openings“ singt Spechtl, dass „wir die Welt ändern“ werden. Und zwar aus dem einzigen Grund, „weil wir das so viele Male vorher auch schon gemacht haben“. Damit verwandeln sich auf „Strategies“ Revolutionen – ob sie Gesellschaften, Computer oder Ernährung betreffen – in Erinnerungen, die durch Wiederholung allmählich verblassen. Entsprechend entfaltet ein Slogan wie „We will change the world“ seine Kraft nicht nur in weit zurückliegenden, versunkenen Zeiten, wie etwa den von Jahr zu Jahr immer sagenumwobeneren sechziger Jahren, manchmal scheint heute auch kaum noch glaubhaft, dass es jene Sechziger überhaupt gegeben haben soll. Dieser Entwicklung begegnet Spechtl mit lässigem Historismus. „We will change the world“ singt er, wie ein in die Gegenwart versetzter Thomas Dolby.

Das Ergebnis ist eine anziehende Mischung. Im zweiten Stück, „The Separate“, stehen der schieren Menge künstlerischer Ausdrucksmöglichkeiten von Kraftwerk bis Michael Rother Leute gegenüber, die „sich selbst verdunkeln“. Die Romantik der Musik trägt Boxkämpfe mit den Biografien von Spechtls Wegbegleitern aus. HörerInnen sehen förmlich die Neonlichter an den Decken der Räume, in denen „The Separate“ als Gegenwartsdrama aufgeführt wird. Es kann das Herz auf eine Weise zerreißen wie der Tod Mimis in Puccinis Oper „La Bohème“.

Die Musik liefert nicht weniger als ein haarscharfes Porträt des 21. Jahrhunderts

Von da an melden sich auf „Strategies“, dramaturgisch wirkungsvoll aufgebaut, immer mehr Gespenster der Vergangenheit, aber auch der Zukunft zu Wort. Spechtl verwandelt sich als Sänger in eine Bauchrednerpuppe unterschiedlichster Zeiten. In „Hot Hell“ klingt er wie ein sanftentrückter Holger Czukay. In „Pretty Views“ hat er den Fehdehandschuh aufgenommen, den das Leben allen irgendwann mal vor die Füße wirft. Spechtl raunt: „They will fill our tongues with barbarism.“ Schon die flüchtigsten Begegnungen lassen auf unseren Zungen nichts mehr liegen außer Verwünschungen.

Es kann immer noch schlimmer kommen, hinter jedem Silberstreif am Horizont lässt sich eine weitere Katastrophe erkennen. In absehbarer Zeit wird womöglich nichts mehr übrig sein außer der „Zeit“, die Spechtl in „The time (the money)“ ins Auge fasst. „Die Zeit wird überleben“, singt er, lässt aber offen, ob es sich dabei um eine Drohung handelt. Zeit, das formuliert Spechtl auf „Strategies“ höchst eindrucksvoll, ist ein Musikins­trument geworden, mit dem sich ein Systemneustart komponieren lässt. Spechtl spielt dieses Instrument auf „Strategies“ mit intuitiver Sicherheit. Die Chronologie geht ihm spürbar unter die Haut und führt ihn gefasst durch Augenblicke und Ewigkeiten. In „When we were Young“ ist Zeit ein „Tunnel“, durch den ein Nachhall durchklingt.

Michel Foucault hat in einem Text über Heterotopien die These aufgestellt, dass eine Gesellschaft, die keine Schiffe hat, auch keine Träume haben kann. In diesem Sinn handelt es sich bei Spechtls „Strategies“ um eines der Schiffe, die in den Romanen von Joseph Conrad unterwegs sind. Sie fahren über Ozeane voll mit Augenblicken und Lebenszeiten, unter einer Sonne, von der statt Strahlen Gedanken herunterbrennen. Und dort, in einer uferlosen Weite, lässt sich gut über Privates nachdenken. Über Beziehungsgeschichten, in denen Leute, um sich zu unterhalten, keine Worte austauschen, sondern Betten anzünden, wie das im Titelsong des Albums geschieht. Spechtls brennendes Bett klingt hier nach einer statisch aufgeladenen Meditation von David Sylvian. Es ist das Finale. Wenn es endet, ist klar, dass es immer weitergehen könnte. Mehr lässt sich von einem Popalbum nicht verlangen.

Andreas Spechtl: „Strategies“ (Bureau B/Indigo)

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