Analyse: Ungewisse Zukunft
■ Die algerische FIS verzichtet auf Gewalt und paktiert mit der Armee
Fünf Tage nachdem die Armee des Islamischen Heils (AIS) einen unbefristeten Waffenstillstand in Algerien erklärte, schloß sich auch die Islamische Heilsfront (FIS) dem Gewaltverzicht ihres bewaffneten Arms an. Damit sollen „die Verfechter der infamen, kriminellen Gewalt, die abscheuliche Massaker an Unschuldigen begehen“ isoliert und die Nation soll gerettet werden. „Um die Waffenruhe in einen stabilen Frieden zu verwandeln“, fordert die 1992 nach ihrem Wahlsieg verbotene Partei von Staatspräsident Liamine Zeroual eine „Generalamnestie für alle, die zu den Waffen gegriffen haben (...), die Aufhebung des Ausnahmezustands und eine Nationale Aussöhnungskonferenz unter Teilnahme der staatlichen Institutionen, der FIS und aller gesellschaftlichen Kräfte“. So steht es in einem Freitag von der FIS-Auslandsleitung in Bonn veröffentlichten Schreiben.
Ungewisse Zukunft Die algerische FIS verzichtet auf Gewalt und paktiert mit der Armee
Doch die FIS hat längst ihren Einfluß über Teile der islamistischen Bewegung verloren. Das beweist ein ebenfalls am Freitag in London verbreitetes Kommunique der Bewaffneten Islamischen Gruppen (GIA). FIS und AIS werden darin für ihren Gewaltverzicht als Verräter gebrandmarkt: „Gott wird uns erlauben, ihnen die Köpfe abzuschneiden.“ Die radikalen Islamisten bekennen sich zu den Massakern der letzten Wochen, bei denen seit Juli über 2.000 Menschen ermordet wurden, und wollen auch weiterhin gegen „die Tyrannen, ihre Verwandten und Anhänger“ vorgehen. Nicht zuletzt die blutigen Aktionen der GIA, denen immer häufiger die einstigen WählerInnen der FIS zum Opfer fallen, dürften diese zur Annäherung an die Generäle bewegt haben. Die Armee griff meist auch dann nicht ein, wenn die Schlächtereien nur wenige hundert Meter von einer Kaserne stattfanden.
Was die Regierung FIS und AIS als Gegenleistung angeboten hat, darüber halten sich beide Seiten bedeckt. Nur eines sickerte aus dem Umfeld der FIS-Auslandsleitung durch: Anders als zuerst vermutet, stecken hinter den Gesprächen mit der AIS, die zum Waffenstillstand führten, nicht Präsident Zeroual und die Generäle, die bereits 1994 einen ähnlichen Versuch unternahmen, sondern die Hardliner um den übermächtigen Generalstabschef Mohamed Lamari.
Er scheint auf einen Pakt zwischen Militärs und großen Teilen der islamistischen Bewegung zu setzen. In diesen Plänen käme der FIS sowie den bereits heute legalen Parteien Hamas und Ennahdah eine Teilnahme an einer Übergangsregierung zu. Das Militär würde sich um die endgültige Bekämpfung der GIA kümmern, soweit diese nicht sowieso von der Securité Militaire, dem militärischen Geheimdienst, infiltriert sind, und die Kontrolle über die Reichtümer des Landes – Erdöl und Erdgas – in seinen Händen behalten. Die Armee würde damit auch weiterhin, wie schon in all den Jahren seit der Unabhängigkeit, die eigentliche Macht im Lande darstellen. Der große Verlierer wäre einmal mehr die nichtreligiöse, demokratische Opposition. Eine „Aussöhnung unter Teilnahme aller gesellschaftlichen Kräfte“ würde einem militärisch-islamistischen Block weichen. Reiner Wandler
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