Analyse: Der Pakt ist tot
■ Die Gewerkschaften wollen aus dem Bündnis für Arbeit im Osten aussteigen
Das Versprechen war deutlich: 100.000 neue Arbeitsplätze für den Osten, Fördermittel über die Jahrtausendwende hinaus. Bundeskanzler Kohl, Dieter Schulte, Chef des DGB, Vertreter von Handwerk, Handel und Industrie legten es vergangenen Mai gewichtig ab. Einer der Hauptpunkte der Initiative Ost war, die Beschäftigung im Jahr 1997 auf mindestens dem Niveau des Vorjahres zu sichern. 1998 sollte sogar zugelegt werden: 100.000 neue Stellen. Dafür wollten Arbeitgeber und Gewerkschaften ihre „Tarifpolitik am Beschäftigungsziel orientieren“.
Pathos und Hoffnung sind zerstoben. Jetzt überlegen die Gewerkschaften, den Pakt zu kündigen. Für die IG Metall hat sich die Initiative als „Leiche“ erwiesen. Statt neuer Stellen wurden im vergangenen Jahr allein im Metallbereich 170.000 Arbeitsplätze wegrationalisiert, obwohl die Gewerkschaften sich in den Tarifverhandlungen wohlfeil verhielten.
Mitnichten hat die Bonner Koalition die Kürzungen bei der Arbeitsmarktpolitik zurückgenommen. Gut 110.000 Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen fielen weg, das kompensierten auch die knapp 40.000 Fälle der Lohnkostenzuschüsse nicht. In der beruflichen Fortbildung und bei Umschulungen wurden 100.500 Plätze gestrichen. Die Bundesregierung förderte 1997 rund 170.500 Maßnahmen weniger als im Jahr zuvor. Von ihrer Zusage, die aktive Arbeitsmarktförderung nur in dem Maße abzubauen, wie neue Stellen entstehen, will sie heute nichts mehr wissen. Alles nach dem Motto: Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern!
Die Banken hatten zugesagt, den Osten mit einer Milliarde Mark zu stabilisieren – noch nicht einmal die Hälfte des Geldes kam bislang an. Es mangelt an Eigenkapital. Arbeitsplätze entstehen aber vorwiegend in neuen, innovativen Unternehmen, kreative Ideen sind vom sogenannten Wagniskapital abhängig.
Theoretisch stehen Regierung und Wirtschaft noch immer zu der Initiative, die sie im vergangenen Jahr unterschrieben haben. Praktisch machen sie nichts. Die Gewerkschaften stehen blöd da. Sie übten Zurückhaltung und ernteten Arbeitslose. Direkten Einfluß haben sie auf den Arbeitsmarkt nicht. Halten sie am Pakt fest, fungieren sie als Feigenblatt: Kohl macht Wahlkampf, und die Wirtschaft rationalisiert weiterhin. Der Wille, aus dem Bündnis auszusteigen, ist verständlich: Der Pakt ist tot.
Die Probleme bleiben. Am übernächsten Dienstag wird der DGB über den Ausstieg beraten. Kündigt er den Pakt, wird ihn die Regierung voll verantwortlich machen. Ja und? Die Verantwortlichen für den Abschwung Ost sitzen in Bonn. Der DGB wird ihnen die Rechnung präsentieren. Annette Rogalla
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