Analyse: CDU am Wendepunkt
■ Das schlechte Wahlergebnis für Diepgen wird nicht folgenlos bleiben
Die Verhältnisse in der Berliner CDU sind unübersichtlich geworden. Das schlechte Wahlergebnis, das innerparteiliche Widersacher dem Parteivorsitzenden Eberhard Diepgen am Wochenende bereitet haben, wird nicht ohne Folgen bleiben. Ein angeschlagener Diepgen wird am Donnerstag dieser Woche mit dem Koalitionspartner SPD über ein Schlüsselprojekt der Großen Koalition verhandeln müssen, das für die CDU ein Reizthema ist. Die vom Senat bereits beschlossene Bezirksreform – die Verringerung der 23 Berliner Bezirke auf ein Dutzend – stößt in der CDU auf erheblichen Widerstand. Wegen der CDU-Dissidenten ist die verfassungsändernde Zweidrittelmehrheit im Parlament nicht in Sicht. Beide Koalitionspartner haben das Projekt zum Knackpunkt der Koalition hochstilisiert. Bei einem Scheitern sei die Große Koalition in Frage gestellt.
Nach dem Auftrumpfen der parteiinternen Diepgen-Kritiker, die der politisch heterogenen Gruppierung Union 2000 angehören, dürfte es für Diepgen noch schwieriger werden, mit der SPD einen Kompromiß auszuhandeln, der für die CDU-Basis akzeptabel ist. Der ohnehin nicht sehr durchsetzungsstarke Diepgen könnte am Widerstand aus den eigenen Reihen scheitern. Für den frisch gewählten Diepgen-Stellvertreter mit Ambitionen, Innensenator Jörg Schönbohm, könnte die Bezirksreform dagegen zur ersten Bewährungsprobe werden. Wenn er mit Erfolg sein Gewicht in die Waagschale wirft, um die rebellische Parteibasis auf Linie zu bringen, wäre Diepgen erneut düpiert.
Doch auch bei einem Scheitern der Bezirksreform ist ein Platzen der Großen Koalition eher unwahrscheinlich. Warum CDU und SPD ein Regierungsbündnis wegen der gescheiterten Verschlankung von Verwaltungsstrukturen aufkündigen, ist der Wählerschaft kaum zu vermitteln. Vorgezogene Neuwahlen würden nicht honoriert. So setzt die CDU darauf, daß die SPD ihre Drohungen nicht wahr machen wird.
Für die CDU selbst markiert der Parteitag einen Wendepunkt. Das Gespann Diepgen/Landowsky hält die Fäden nicht mehr in der Hand. Doch eine Machtverschiebung macht noch keinen programmatischen Neubeginn. Mehr Profil der CDU fordern die Rebellen der Union 2000, doch ein Programm haben sie nicht. Doch selbst Diepgen-loyale Kräfte gehen davon aus, daß in den nächsten vier Jahren eine „personelle Erneuerung“ stattfinden wird. Der befürchtete Rechtsruck dürfte jedoch ausbleiben. Vielmehr wird es bei der bewährten Aufgabenteilung bleiben. Innenpolitische Hardliner wie Schönbohm werden den rechten Rand bedienen, doch die Partei hält den Kurs der Mitte. Dorothee Winden
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