Analyse: Kompromiß hoch zwei
■ Netanjahu und Arafat müssen sich in London einigen. Erfolg ist fraglich
Ob es ein kluger Schachzug war, sei dahingestellt. Präsident Jassir Arafat hat schon vor der Londoner Konferenz seine Zustimmung zu den US-Plänen bekanntgegeben. Einen Teilrückzug aus 13 Prozent der von Israel besetzten Gebiete hat er akzeptiert, um den Friedensprozeß wieder in Gang zu bringen. Oder aber, um die Kluft zwischen der Clinton-Regierung und Israels Ministerpräsident Netanjahu weiter zu vertiefen. Denn offiziell ist Netanjahu von seinem Neun-Prozent-Angebot noch keinen Millimeter abgerückt.
Nach Angaben aus Kreisen der israelischen Siedler läßt Netanjahu einen Abzug aus elf Prozent der palästinensischen Gebiete prüfen. Diesen Prozentsatz dürfte er in London als seinen Kompromiß verkaufen. Und die Wahrscheinlichkeit ist hoch, daß US-Außenministerin Albright Arafat drängen wird, den Kompromiß zum Kompromiß zu akzeptieren. Doch weiß Arafat, daß die Palästinenser in einem solchen Zugeständnis mehr als einen Gesichtsverlust sehen. Daher kann er einen solchen dreifachen Kompromiß gegenüber seiner ursprünglichen Forderung von 30 Prozent nur ablehnen. Tut er dies, wird Netanjahu seiner rechten Koalition verkünden, daß der Oslo-Prozeß an den Palästinensern gescheitert ist. Zwar scheint ein Erfolg der Verhandlungen in London für alle Beteiligten zwingend. Doch garantiert ist er nicht.
Netanjahu kann sich den Erfolg ans Revers heften, die palästinensischen Erwartungen – nicht ohne Hilfe der USA – erheblich zurückgeschraubt zu haben. Mit dem zutreffenden Argument, daß Israel allein den Umfang des Rückzugs entsprechend seinen Sicherheitsbedürfnissen bestimmen darf, hat er den Hebel gefunden, um die gesamten Oslo-Vereinbarungen zu torpedieren und die Gründung eines palästinensischen Staates zu verhindern. Sollte in London der Kompromiß hoch zwei gefunden werden, könnte Netanjahu sich auch ermutigt fühlen, mit dem Sicherheitsargument den dritten Teilrückzug zu blockieren, obwohl dieser im Hebron-Abkommen vereinbart ist. Derzeit zielt die israelische Taktik darauf ab, den dritten Teilrückzug direkt mit den Abschlußverhandlungen über den endgültigen Status der besetzten Gebiete zu verbinden. Das gäbe Israels Regierung die Chance, mehr Land zu behalten, als ihr nach den Oslo-Vereinbarungen zustünde. Doch einer dauerhaften Regelung des Konflikts wäre damit nicht geholfen. Die Kompromißwilligkeit Arafats derart zu strapazieren, wird sich langfristig als kontraproduktiv erweisen. Die Reihen der islamischen Organisation Hamas werden sich füllen. Das Licht am Ende des Tunnels flackert schwächer als je zuvor. Georg Baltissen
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