Analyse: Spitze Fragen an Bibi
■ Israels Premier Netanjahu wirbt bei den Juden in USA um Unterstützung
Wer sind wir hier im sicheren und grenzenlosen Amerika, den Israelis vorzuschreiben, wieviel sie von ihrem Territorium und ihrer Sicherheit aufgeben sollen?“ fragte James Gilmore, republikanischer Gouverneur von Virginia, auf der 92. Jahresversammlung des American Jewish Committee, das diese Woche in Washington tagt. David Mendell, Psychiater aus Houston, hat als Student in Wien 1934 die Ermordung von Engelbert Dollfuß miterlebt. Gerade noch rechtzeitig kehrte er nach Amerika zurück: „Als Freund Israels haben Sie ein gutes Gespür für die Situation der Israelis“, entgegnete er Gilmore. „Aber als Politiker verstehen Sie auch die Lage der Palästinenser. Können Sie ein ähnlich eloquentes Plädoyer für die Palästinenser halten?“ Großer Applaus. Gilmore ist um eine Antwort einigermaßen verlegen.
Der Schlagabtausch vor dem Forum einer der ältesten und mächtigsten Organisationen der amerikanischen Juden beleuchtet das Dilemma Benjamin Netanjahus bei seinem Besuch in Amerika. Traditionell wenden sich israelische Ministerpräsidenten, wenn sie Unterstützung brauchen, an das, was man gemeinhin die „jüdische Lobby“ nennt. Amerikas Juden sind Israels stärkste Verbündete, doch sie sind mehrheitlich für den Friedensprozeß, und Clinton ist bei ihnen beliebter als Netanjahu. Amerikas Juden und Amerikas christliche Rechte sind traditionell in allen innenpolitischen Fragen Gegner. Ob es um das Recht auf Abtreibung oder auf Waffenbesitz geht, um die Todesstrafe oder – neuerdings – um den Friedensprozeß im Nahen Osten, die Juden Amerikas und die christliche Rechte stehen in verschiedenen Lagern. Netanjahu aber sucht stärker als alle seine Vorgänger Unterstützung ausgerechnet bei der christlichen Rechten und bei den innenpolitischen Gegnern des amtierenden Präsidenten.
Das Interesse am Friedensprozeß lasse nach, erklärt Cynthia Tucker, Meinungschefin des Atlanta Constitution, einer Zeitung außerhalb des Einflußbereichs der Achse Washington–New York. Fünfzig zu fünfzig sei das Verhältnis von pro- und antiisraelischen Leserbriefen. Vor zehn Jahren seien 95 Prozent der Zuschriften proisraelisch gewesen. Das wiederum hänge mit dem Ende des Kalten Krieges zusammen, als die Amerikaner der Suche nach zuverlässigen Bündnispartnern mehr Bedeutung beimaßen. Der christlich- rechte Flügel der Republikaner versucht seit einiger Zeit diese Leerstelle mit dem Engagement für das biblische Israel, für Jerusalem als die Hauptstadt der Christen zu ersetzen. Eine Ideologisierung des Nahost-Konflikts, die den meisten Juden in den USA nicht recht ist und die nicht mal im tiefen Süden Erfolg zu haben scheint. Wenn Netanjahu sich heute an das American Jewish Committee richtet, darf er mit höflichen, aber spitzen Fragen rechnen. Peter Tautfest
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