Analyse: Freundliche Botschaft
■ Ob Ost oder West: Für die Metaller gilt künftig ein Flächentarifvertrag
Na bitte, es geht doch. Neun Jahre nach der Vereinigung scheint die Einheit nah, zumindest in der Metallbranche. So läßt sich das Ergebnis des Spitzengesprächs zwischen IG Metall und Gesamtmetall von Montag abend deuten. Sie sind übereingekommen, daß zukünftige Tarifabschlüsse der westdeutschen Metall- und Elektroindustrie auch im Osten gelten. Künftig soll der in einem westdeutschen Pilotbezirk angestrebte Lohntarifabschluß einen Monat später in voller Höhe auf Ostdeutschland übertragen werden. Für die 266.000 Ostmetaller heißt das, daß für sie in Zukunft keine eigenen Tarifverhandlungen geführt werden müssen.
Allzu groß war die Ungleichheit in der Branche ohnehin nicht mehr. Seit zwei Jahren erhalten die Ostler 100 Prozent des Westlohnes. Nun werden für sie auch die Regelungen für die Altersteilzeit gelten. Im Gegenzug hat die IG Metall zugestanden, die Arbeitszeit im Osten auf 38 Wochenstunden bis Ende 2000 einzufrieren, im Westen gilt die 35-Stunden- Woche. Für die Gleichheit zahlen die Ostler einen Preis. Auch auf die vermögenwirksamen Leistungen können sie nicht rechnen, und beim Weihnachtsgeld werden sie fünf Prozent weniger als ihre Westkollegen im Geldbeutel haben. Das sind akzeptable Zugeständnisse. Im Osten beträgt die Produktivität erst 90 Prozent des Westniveaus. Allerdings schwankt sie von Betrieb zu Betrieb erheblich. Opel in Eisenach und VW in Mosel erreichen sogar bessere Werte als ihre westlichen Schwesterbetriebe; allerdings treiben diese Spitzenergebnisse wiederum den Durchschnittswert für die neuen Bundesländer in die Höhe.
Bei den Tarifparteien herrscht Aufbruchstimmung. Ihr Spitzengespräch begann in kritischer Atmosphäre. Der mächtige Gewerkschaftsfürst Hasso Düvel vom Bezirk Berlin-Brandenburg hatte zuvor noch die ultimative Verkürzung auf die 35-Stunden-Woche verlangt. Der Funktionär hätte es auf eine Kündigung des Manteltarifvertrages ankommen lassen. In letzter Minute war er sich wohl bewußt geworden, daß die Basis da nicht mitgemacht hätte. Die IG-Metall-Zentrale in Frankfurt verpackt dies nun in den aparten Satz: „Die Streikbereitschaft war nicht ausgesprochen ausgeprägt.“ Zum Glück haben Ostler das eingefahrene Tarifkonfliktschema durchbrochen. Ihnen ist es zu verdanken, daß die ehemaligen Haudegen Stumpfe (Gesamtmetall) und Zwickel (IG Metall) nun beweisen können, wieweit die neue Partnerschaft trägt, von der sie seit Monaten so kunstvoll plaudern. Für Dezember sind die ersten Verhandlungen terminiert. Dann haben die willigen Partner ihre Feuertaufe zu bestehen. Und erst in dieser Phase wird sich zeigen, ob sich aus dem neuen Einvernehmen tatsächlich etwas stricken läßt, was wie ein Bündnis für Arbeit aussehen kann. Annette Rogalla
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