Analyse: Links und bürgerlich
■ Rot-Grün kämpft mit konservativen und divergierenden Erwartungen
So einfach, wie Willy Brandt sich das dachte, ist es wohl nicht. Die These von der Mehrheit diesseits der CDU, mit der Mitte der achtziger Jahre der damalige SPD-Vorsitzende seiner Partei die rot-grüne Option eröffnete, erweist sich im Lichte einer aktuellen Umfrage als überarbeitungsbedürftig. Zwar haben Sozialdemokraten und Bündnisgrüne bei der Wahl im September gewonnen, doch gibt es keine Anzeichen dafür, daß sich die Einstellungen und Wertorientierungen der Wähler nach links verschoben haben. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie, die das Mannheimer Institut für praxisorientierte Sozialforschung für den Bundesverband deutscher Banken erstellt hat. Danach ist die überwiegende Mehrheit der Bürger an der Förderung des Wirtschaftswachstums, mehr als die Hälfte an einer Stärkung von Sicherheit und Ordnung interessiert. Auch traditionelle Wertorientierungen stehen noch hoch im Kurs. Der Wahlerfolg spreche von daher eher für eine Annäherung der SPD an die bürgerliche Mitte.
Diese Mitte zu halten, dürfte für die Regierung ein schwieriges Geschäft werden. Bereits nach wenigen Wochen hat sich die Erwartung der Bürger an eine neue Politik merklich abgekühlt. Waren noch Mitte Oktober 52 Prozent der Meinung, es herrsche eine Aufbruchstimmung, so ging dieser Anteil Anfang November bereits auf 44 Prozent zurück. Die Studie führt das auf die Halbherzigkeit des Regierungsprogramms zurück. Denn nur 31 Prozent glauben, daß es dem Anspruch einer Politik der neuen Mitte gerecht wird.
Wie diese Politik aussieht, darüber sind sich die Bürger allerdings wohl selbst nicht im klaren. 62 Prozent meinen, die Sicherung des Wohlstands sei Aufgabe des einzelnen, nur 30 Prozent fordern den Staat. Wird es allerdings konkret, wollen die meisten doch nicht auf den Staat verzichten: Jeweils zwei Drittel halten eine private und eine staatliche Altersvorsorge für erforderlich. Auch eine größere Selbstbeteiligung am Gesundheitswesen lehnen 80 Prozent der Befragten ab. Die wenigsten erkennen darin einen Widerspruch.
Teilt man die Befragten nach ihren Parteipräferenzen auf, so lassen sich allerdings gravierende Veränderungen seit der Wahl ausmachen. Laut einer Umfrage des Allensbacher Institutes sahen vor dem 27. September 56 Prozent der SPD und 55 Prozent der CDU-Anhänger mit Hoffnung in die Zukunft. Mittlerweile stieg die Zahl der hoffenden SPD-Anhänger auf 64, die der CDU-Anhänger sank auf 37 Prozent. Noch gravierender ist die Differenz beim Zutrauen in die Fähigkeit der Bundesregierung, die Arbeitslosigkeit zu senken. Sie schafft es, sagen 63 Prozent der SPD-Anhänger, sie schafft es nicht, meinen 70 Prozent der CDU-Anhänger. Dieter Rulff
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