Analyse: Chef trifft Chefsache
■ Schröders Kabinettstreffen mit den Ostländern taugt zum Erfolgsmodell
Pünktlich zur gestrigen letzten Sitzung des Bundeskabinetts im Jahr 1998 gab es noch einmal eine Premiere: Nachdem die Minister und ihr Chef den Regierungsumzug nach Berlin beraten hatten, machten sie sich in Richtung „Chefsache“ – also Aufbau Ost – auf. In Dresden trafen sich Schröder und Co mit dem dortigen Chef Biedenkopf und dessen Co. Die erste gemeinsame Sitzung eines Landeskabinetts – noch dazu eines ostdeutschen – mit der Bundesregierung: bloß ein guter PR-Schachzug von Schröder?
Wohl kaum. Schon die Standortwahl des ersten derartigen Treffens spricht gegen diese Vermutung. Der CDU-Mann Biedenkopf wird sich kaum in die Erfüllung von SPD-Wahlversprechen einbinden lassen. Vor dem Treffen hatten sich die Sachsen nach Kräften bemüht, Differenzen klarzumachen: Der Entwurf der Bonner Steuergesetze sei wirtschaftspolitisch verfehlt und ungeeignet, neue Arbeitsplätze zu schaffen. Die „einseitige Ausrichtung auf die Stärkung der Massenkaufkraft“, erklärte das sächsische Finanzministerium, berücksichtige zuwenig die überwiegend strukturell bedingten Ursachen der Arbeitslosigkeit im Freistaat.
Auch die Zusammensetzung der Chefmannschaft verrät Ernsthaftigkeit. Um strukturelle Voraussetzungen für Ergebnisse zu schaffen, wurde vor einer Woche der Kabinettsausschuß „Neue Länder“ gegründet. Schließlich ist die Präsenz des Verteidigungsministers nicht wirklich notwendig, um die „Chefsache“ voranzubringen. Neben Finanzminister Lafontaine, Verkehrsminister Müntefering, Wirtschaftsminister Müller und Arbeitsminister Riester sitzen dagegen auch Rolf Schwanitz, Staatsminister für den Aufbau Ost, und Kulturstaatsminister Michael Naumann als Ost-Reisekader im Kabinettsausschuß.
Auf der über zweistündigen Sitzung ging es gestern um den Arbeitsmarkt im Freistaat Sachsen, das Sofortprogramm gegen die Jugendarbeitslosigkeit und die Agenda 2000 zur EU-Reform. Auch über die Stillegung des Kernforschungsreaktors in Rossendorf (nahe Dresden) wollte man mit Schröder reden. Der Freistaat will Bonn dazu bewegen, die Hälfte der Stillegungskosten zu übernehmen. Die Sachsen ließen zudem die Themen Altlastensanierung, Sorben und den Bau der A17 auf die Tagesordnung setzen.
„Wir sind am Beginn einer neuen Zusammenarbeit“, hatte Ministerpräsident Biedenkopf vor dem Treffen erklärt. Künftig werden aller zwei Monate Treffen zwischen Chef und seiner Chefsache – immer in einem anderen neuen Bundesland – stattfinden. Dabei dürfte Schröder vorrangig die Rolle des Zuhörers bleiben. Gelingt es ihm, die Impulse dieser Treffen in seine Politik einzubringen, könnte die Reisegesellschaft ein echtes Erfolgsmodell werden. Nick Reimer
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