Analyse: Unionshoffnung
■ Was der Streit um Doppelpässe mit dem Wahlausgang in Hessen zu tun hat
In der CDU/CSU-Bundestagsfraktion macht sich bei manchem Abgeordneten Hoffnung breit. Wenn Rot-Grün am 7. Februar bei der Landtagswahl in Hessen die Macht verlieren sollte, dann dürfte auch in Bonn die Koalition in der Frage der Staatsbürgerschaftsreform unter Druck geraten. Die Aussicht, im Bundestag doch noch eine Mehrheit dieseits von SPD und Grünen zu erreichen, beflügelte wohl einige der rund 60 CDU-Abgeordneten, die am Mittwoch die Sitzung der Unionsfraktion durcheinanderbrachten. Sie stimmten für einen Antrag, der vorsieht, daß junge Ausländer sich im Erwachsenenalter für einen der beiden Pässe entscheiden müssen. Zwar billigte am Ende die Mehrheit das Rüttgers-Papier, in dem Doppelpässe abgelehnt werden.
Doch der Dissens in der Union, seit der von der CSU angeschobenen Unterschriftensammlung virulent, tritt mit dem Votum der 60 Abgeordneten erstmals offen in einem Abstimmungsverhalten zutage. Selbst Angela Merkel, neu bestallte CDU-Generalsekretärin, votierte mit den innerparteilichen Opponenten. Nun kann Merkels Signal zweierlei bedeuten: als selbstbewußte Abgrenzung vom Kurs des CDU- Fraktions- und Parteichefs Wolfgang Schäuble. Oder als Versuch, der rebellischen und zum Teil verbitterten Minderheit zu signalisieren, daß sie eine moralische Stütze im Konrad-Adenauer-Haus hat. Welche Motive Merkel auch bewegten, in der turbulenten Sitzung, in der CSU-Abgeordnete die „Jungen Wilden“ und die sie unterstützenden Abgeordneten Heiner Geißler, Rita Süssmuth und Volker Rühe pauschal als „Weichlinge“ beschimpften, wurde das Dilemma der Union deutlich: Der Streit um den Kurs in der Ausländerpolitik wird emotional wie kaum ein anderer geführt, weil man ihn als Regierungspartei jahrelang nicht zu führen wagte.
Im Angesicht dieses Streits könnte sich Rot-Grün zurücklehnen. Doch die zur Schau getragene Gelassenheit der Koalitionäre trügt. In den Reihen der SPD-Abgeordneten, aber auch bei manchen Grünen (die das aber aus Parteiräson nicht offen sagen wollen), ist das Projekt der Doppelpässe umstritten. Mit sprachlichen Nuancen versucht Innenminister Otto Schily in der Bild, die diffuse Stimmung seiner Partei mit den Wünschen des kleineren Koalitionärs und einem Angebot an die Union zu verbinden. Man nehme zwar die doppelte Staatsbürgerschaft hin, Ziel bleibe aber die erleichterte Einbürgerung, im übrigen sei er aber im Gesetzgebungsverfahren „offen für konstruktive Vorschläge“. Ähnlich haben sich auch andere Koalitionspolitiker schon geäußert. Sie haben es mit Bedacht getan. Denn scheitert in Wiesbaden Rot-Grün, dann wird es die Koalition schwer haben, einem Kompromiß in Bonn aus dem Wege zu gehen. Severin Weiland
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