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AnalyseAutonomie im Test

■ Hongkong und Peking streiten über die höchste Instanz der Ex-Kolonie

Die Formel „Ein Land – zwei Systeme“ sichert Hongkong trotz der Rückgabe an China am 1. Juli 1997 ein hohes Maß an Autonomie und Selbstverwaltung zu. So genial die von Deng Xiaoping ursprünglich für die Wiedervereinigung mit Taiwan entworfene Formel auf den ersten Blick ist, so muß sie näher definiert werden, damit Konflikte nicht zu Rechtsunsicherheit führen. Denn das ist momentan der Fall. Dabei geht es um die Frage: Wer hat das letzte Wort in der neuen Sonderverwaltungsregion – Hongkongs Oberstes Gericht oder der Nationale Volkskongreß in Peking?

Pekings Scheinparlament hatte beschlossen, daß nur diejenigen Chinesen nach Hongkong übersiedeln dürfen, denen die Heimatbehörden das genehmigen. Nach der neuesten Auslegung durch Hongkongs Oberstes Gericht erlaubt die Verfassung der Ex-Kolonie dagegen jedoch all denjenigen Chinesen die Übersiedlung, von denen mindestens ein Elternteil rechtmäßig in Hongkong lebt. Die volksrepublikanischen Behörden seien dabei irrelevant. Der Streit war vor Gericht gekommen, weil in Hongkong lebende Eltern ihre illegal nachgezogenen Kinder vor Abschiebung schützen wollten. Zugleich gibt es in der Volksrepublik mehrere hunderttausend Personen, die nach dieser Verfassungsauslegung ein Einwanderungsrecht nach Hongkong haben. Da ihre Übersiedelung innerhalb kurzer Zeit Hongkong vor große Probleme stellen würde, ist die Ironie des Streits, daß Pekings Volkskongreß ganz im Sinne der Hongkonger Regierung und der Bevölkerungsmehrheit der Ex-Kolonie entschieden hatte. Diese sind für eine restriktive Einwanderungspolitik.

Der Streit hätte keine grundsätzliche Bedeutung, wenn Peking sich der Entscheidung der höchsten Instanz Hongkongs fügen würde. Doch Peking will sich nicht beugen. Zunächst sorgte ein Kommentar der amtlichen Nachrichtenagentur Xinhua für Irritationen, der das Urteil als „Fehler" bezeichnete und seine Revision forderte. Doch nachdem Hongkongs Peking-treue Justizsekretärin Elsie Leung am Wochenende in der chinesischen Hauptstadt vorsprach, gibt es keinen Zweifel mehr: Chinas Regierung verlangt definitiv eine Änderung des Hongkonger Richterspruchs. Damit wird Hongkongs Einwanderungsfrage zur Machtfrage und zum Test für die Autonomie. So gern Hongkongs Regierung dem Verlangen Pekings folgen würde, um die finanziellen Lasten eines Einwanderungsschubs für die von der Asien-Krise gebeutelte Stadt zu umgehen, würde sie damit die Glaubwürdigkeit der Justiz und den Ruf als von Peking autonomes Territorium gefährden. Der kurzfristigen Kostenersparnis durch eine Beschränkung der Einwanderung steht die Gefährdung von Hongkongs größtem wirtschaftlichen Kapital gegenüber – die Rechtsstaatlichkeit. Sven Hansen

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