Analyse zur Hamburg-Wahl: Olaf der Große
Niemand bezweifelt mehr, dass Olaf Scholz Bürgermeister wird. Fraglich ist einzig, ob die SPD allein regieren kann oder mit den Grünen koalieren muss.
Olaf Scholz spielt auf Sieg. Fraglich scheint einzig, wie hoch die SPD und ihr Spitzenkandidat bei der Hamburger Bürgerschaftswahl am nächsten Sonntag gewinnen werden. Den totalen Triumph des künftigen Ersten Bürgermeisters im Stadtstaat an der Elbe können nur noch Linke und Liberale verhindern. In einem Parlament mit den drei Fraktionen SPD, CDU und Grüne hätten die Sozialdemokraten nach allen Umfragen (siehe Kasten) die absolute Mehrheit. Wenn aber die Linke im Parlament bleibt und die FDP erstmals seit 2004 wieder reinkommt, braucht die SPD einen Bündnispartner - und der heißt Grün-Alternative Liste (GAL).
Daran lässt Scholz keinen Zweifel: "Wir wollen - wenn wir einen Partner für die Regierungsbildung brauchen - mit der GAL darüber verhandeln. Das steht fest", stellte er am 12. Januar auf dem Podium mit GAL-Spitzenkandidatin Anja Hajduk im taz Salon im Hamburger Schanzenviertel öffentlich klar. "Die GAL ist die Partei", sagte Scholz, "mit der die SPD die größte Schnittmenge hat."
Das indes ist ein zweischneidiger Begriff, denn Scholz hat bereits die Folterinstrumente bereitgelegt. Harter Sparkurs, keine Stadtbahn, Auflösung der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt (BSU) und der parteilose Ex-Präses der Handelskammer, Frank Horch, als Hafen- und Wirtschaftssenator sind Hinweise dafür, dass eine Koalition unter einem Regierungschef Scholz kein grünes Wunschkonzert würde. Außerdem hätte Scholz, obwohl er das in Abrede stellt, die FDP als taktisches Drohpotenzial in der Hinterhand. Denn eine rot-gelbe Koalition, die FDP-Spitzenkandidatin Katja Suding anstrebt, dürfte möglich sein.
Die Wechselstimmung in Hamburg bestätigen zwei Umfragen vom Wochenende im Auftrag von ARD und ZDF.
Sonntagsfrage: Hier liegt die SPD bei 45 (ARD) bzw. 46 (ZDF) Prozent. Die CDU erhält 23,5 bzw. 23 Prozent, die GAL 14 bzw. 14,5 Prozent. Die Linke kommt auf 5,5 bzw. 6,0 Prozent, die FDP jeweils auf 5,0 Prozent.
Bürgermeister: Für Olaf Scholz sprechen sich bei der ARD 55 Prozent aus, beim ZDF 58 Prozent. Für Christoph Ahlhaus votieren 21 bzw. 20 Prozent. Damit will nicht mal jeder potenzielle CDU-Wähler den Amtsinhaber behalten.
Sie bleibt aber nur eine theoretische Option. Ernsthaft in Betracht kommen nur die Varianten Rot pur oder Rot-Grün, und deren Eckpunkte sind nach Informationen der taz aus Führungskreisen der beiden Parteien schon weitgehend definiert.
Bei einer absoluten Mehrheit müsste Scholz dem Machttrieb des rechten Parteiflügels Rechnung tragen. Dann drohen dessen Chef, der Bundestagsabgeordnete Johannes Kahrs, oder sein Zögling Markus Schreiber, noch Leiter des Bezirksamtes Mitte, als Bau- und Verkehrssenator; die Umwelt würde zu einem Unterreferat degradiert. Als Schulsenatorin erste Wahl wäre eine Auswärtige: Ute Erdsiek-Rave, bis 2009 Bildungsministerin und stellvertretende Ministerpräsidentin der Großen Koalition in Schleswig-Holstein.
In einer rot-grünen Koalition indes müsste die GAL um viele für sie substanzielle Punkte kämpfen, die Scholz aus taktischen Gründen zu Streitthemen erklärt hat. Sinn und Zweck ist, sich von den Grünen nur ein Minimum abhandeln zu lassen. So würden diese eine Entmachtung ihrer Spitzenfrau, der bisherigen BSU-Senatorin und Zweiten Bürgermeisterin in spe Anja Hajduk nicht akzeptieren können. Das weiß auch Scholz. Also würde er sich das vollständige Ressort abringen lassen - nach hartem Kampf, versteht sich. Denn dann hätten Hajduk und die Grünen auch wieder die Meinungshoheit bei den Streitthemen Stadtbahn, Energienetze, Umweltzone und allen anderen Öko-Themen. Auch die beiden weiteren Behörden, welche die GAL unter Schwarz-Grün innehatte, wird sie behalten können: Christa Goetsch würde erneut Schulsenatorin und Till Steffen wieder Justizsenator. Ein viertes grünes Ressort wäre nur möglich, wenn die GAL deutlich in Richtung 20 Prozent zulegte. Denkbar ist aber als Kompromiss die Besetzung der Kulturbehörde im rot-grünen Konsens mit einer parteilosen Expertin von auswärts.
Nicht verhandelbar sind für Scholz die Schwerpunktressorts Inneres und Finanzen. Sie sind reserviert für Fraktionschef Michael Neumann, der nach sieben harten Jahren als Oppositionsführer erster Anwärter auf ein Senatsamt ist, und für den Haushaltsexperten Peter Tschentscher. Die beiden verbleibenden Posten würden an zwei Sozialdemokratinnen fallen: Hochschul-Expertin Dorothee Stapelfeldt würde im dritten Anlauf endlich Wissenschaftssenatorin; Familienpolitikerin Carola Veit - die bei der Aufstellung der SPD-Landesliste von Scholz außerhalb des parteiinternen Kreis- und Bezirksproporzes eine "Wild Card" auf dem aussichtsreichen Platz 12 erhielt - würde schon im ersten Versuch Sozialsenatorin.
Für die Linke ginge es in der Bürgerschaft nur darum, ihre Oppositionsrolle links der neuen Regierungskoalition neu zu definieren; die FDP müsste ihre rechts vom Senat überhaupt erst finden. Bei der CDU indes werden die Fetzen fliegen. Die Schärfe der Kämpfe hängt davon ab, wie weit der bisherige Minusrekord von 25,1 Prozent bei der Wahl 1993 unterboten wird.
Erstes Opfer wird Partei- und Fraktionschef Frank Schira sein, der schon bei der Listenaufstellung im Januar vom CDU-Parteitag mit nur 61,6 Prozent abgemahnt worden war. Auch Noch-Bürgermeister Christoph Ahlhaus würde auf die Hinterbank verbannt werden. Beide können hoffen, bei guter Führung bei der Bundestagswahl 2013 in den Wahlkreisen Wandsbek und Nord mit den Mandaten der jetzigen Abgeordneten Jürgen Klimke (dann 65) und Dirk Fischer (dann 69) entschädigt zu werden.
Kurzfristig ist entscheidend, wann und wie die Kronprinzen sich über die Erbfolge einigen. Sozialsenator Dietrich Wersich sowie die beiden Partei-Vizes und Bundestagsabgeordneten Rüdiger Kruse und Marcus Weinberg, die sämtlich für eine erneute Wende wieder hin zur Mitte stehen, werden ihre Claims untereinander abstecken. Je gesitteter das vor sich geht, desto größer sind die Chancen der CDU, vier Jahre später wieder als ernsthafte politische Kraft akzeptiert zu werden.
Olaf Scholz indes denkt schon weiter. Die Wahl am Sonntag hat er innerlich bereits abgehakt, im Blick hat er zwei weitere. Zunächst will er 2015 wiedergewählt werden: "Es geht nicht nur darum, eine Wahl zu gewinnen, sondern es dann so gut zu machen, dass die Bürgerinnen und Bürger nach vier Jahren sagen: ,Das wollen wir noch ein zweites Mal wagen", sagte Scholz vor vier Wochen im taz salon. Wenn ihm das gelänge, könnte er im Herbst 2017 ein gewichtiges Wort mitsprechen, wenn die SPD einen Kanzlerkandidaten braucht.
Hamburg wäre ihm dann nicht böse. Denn anders als Ole von Beust vor sechs Monaten würde er nicht bocklos alles hinwerfen, sondern als zweiter Hamburger nach Helmut Schmidt zum mächtigsten Politiker der Republik aufsteigen.
Denn Olaf Scholz spielt nicht auf Platz. Er spielt auf Sieg.
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