: Analyse statt Glaube
■ betr.: " Wer im Treibhaus sitzt, sollte Steine schmeißen", taz vom 26.3.1990
betr.: „Wer im Treibhaus sitzt, sollte Steine schmeißen“,
taz vom 26.3.90
(...) Schlechte Zeiten sind Zeiten des Zusammenrückens. Und sie sind Zeiten der Suche nach den Schuldigen. Immer waren sie die Zeiten der Leute, die die Rückkehr zur „reinen Lehre“ anmahnten, eben der einfachen Erklärungsmuster für die Krise und deren einfache Lösung. „Die Ökologie muß wieder Primat der grünen Politik werden!“ wird nun von einigen gerufen. Unter diesem Schlachtruf rücken nun Gleichgesinnte und Verängstige zusammen. Ich sage absichtlich nicht die Ökologen rücken zusammen, denn ich erhebe den Anspruch ebenfalls in diesem Bereich tätig zu sein. Schlachtrufe sollen Mut machen - angesichts des Feindes. Doch wer ist der Feind?
Reinhard Loske glaubt sie schon lange ausgemacht zu haben, die „Traditionssozialisten“. Leider erläutert er nie, wer diese nun eigentlich sind, und so bleibt der Begriff als Schlagwort im Raum stehen. Ähnlich undifferenziert geht er mit dem Begriff „Gesellschaft“ um: „Wenn die Gesellschaft die Chance nicht wahrnimmt..., ...Zukunftsaufgaben der Weltgesellschaft...“ fordert er angesichts drohender Klimakatastrophen und leitet daraus das Primat der Ökologie ab. Doch wer ist die Gesellschaft? Sind wir eine Gesellschaft von Gleichen, der Gleichberechtigten und sind folglich auch alle gleichschuldig, auch an der Umweltzerstörung? Ist es nicht vielmehr die Frage: Wer hat Macht, und wer hat die Macht, Umweltzerstörung zu verhindern? Ein differenziertes Bild von Gesellschft tut hier Not. Natürlich tragen wir alle bei - zur Umweltzerstörung. Die Gesellschaft als monolitischen Block zu betrachten, führt uns hier jedoch nicht weiter. Die unterschiedlichen Eingriffsmöglichkeit von Individuen und Strukturen gilt es zu analysieren und diese Strukturen zu verändern.
Welche Rentnerin, mit kleinem Einkommen, welche Sozialhilfeempfängerin und welcher Arbeitslose, welche Bafög -Studentin hat ernsthaften Einfluß auf die Veränderung ihrer Situation. Energiesparappelle stoßen bei Leuten, die in ihrer zugigen Altbauwohnung, in denen die Elektrospeicherheizung im Mietvertrag fixiert ist, bestenfalls auf Unverständnis. Dasselbe gilt im Bereich der gerade den unteren Schichten der Bevölkerung attestierten Wegwerfmentalität. Wer sich aus dem bekannten „Warenkorb“ des Sozialamtes ernähren soll und zur Mehrwegflasche greift oder gar den Bioladen aufsucht, wird nur das Kopfschütteln der Sachbearbeiter ernten, wenn die Sozialhilfe dann nur noch den halben Monat reicht. Umweltzerstörung als rein individuelles Problem zu deklarieren ist daher nicht zulässig. Zynisch kann es nur klingen wenn Reinhard Loske gar fordert, Klimaschutz müsse „gegebenenfalls auch zu Lasten zusätzlicher Sozialleistungen“ realisiert werden. Die Groteske ist dann vollkommen, wenn dann auch noch an die Betreiber des Kraftwerkes, die 20 Milliarden DM Rücklage auf dem Konto haben, appelliert wird, nun doch ebenfalls etwas Energie einzusparen. So zwei Prozent wie bei der Rentnerin, die direkt neben dem Kraftwerk wohnt und sieht wie 70 Prozent der Primärenergie durch den Kühlturm gejagt wird. (...)
Politik sollte etwas mit Wissen zu tun haben - nicht mit Glauben. Ökologie hat was mit Zusammenhängen zu tun, nichts mit einem aus sich selbst begründeten Dominanzanspruch. Ökologische Politik muß die Dinge im Zusammenhang sehen, im Kontext mit dem jeweiligen Politik- und Problemfeld. (...)
Wolfgang Kühr, Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft Energie der Grünen, Sprecher der Landesarbeitsgemeinschaft Energie der Grünen-NRW
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen